Andrea_N - Depression Kämpferin

Depression: Ich bin eine Kämpferin auf der Suche nach Lösungsmöglichkeiten!

Betroffene: Annie
Jahrgang: 1982
Diagnosen: Rezidivierende depressive Episoden
Therapien: tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie, zwei stationäre Aufenthalte, zwei teilstationäre Aufenthalte; Antidepressiva
Ressourcen: Sport bzw. Bewegung, schreiben, häkeln, Natur und Tiere, baden

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

2004 entschloss ich mich, meine erste Psychotherapie zu beginnen. Meine Therapeutin diagnostizierte daraufhin eine mittelschwere depressive Episode. Damals konnte ich noch gar nichts damit anfangen. Ich wusste nur, dass irgendetwas nicht mit mir stimmt. Einige Zeit dachte ich sogar, dass ich doch mehr haben müsste als ‚nur‘ eine Depression, obwohl ich eindeutige Symptome hatte. Ich konnte nachts nicht mehr schlafen, war unfähig, mich angemessen zu versorgen, ging fast gar nicht mehr nach draußen, meine Wohnung verwahrloste und ich fühlte mich absolut hoffnungslos. Dazu kamen starke Suizidgedanken.
Mir war nicht klar, wie schlimm sich diese Erkrankung anfühlen kann. Im Laufe der Zeit erhielt ich so einige Diagnosen, von denen viele (zum Glück) wieder revidiert worden sind. Rückblickend kann ich sagen, dass ich bereits als Kind massive, psychische Auffälligkeiten hatte, die damals von meinem Umfeld jedoch nicht wahrgenommen wurden. In der Pubertät hatte ich dann meine erste eindeutige depressive Episode.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Vor knapp drei Jahren begann ich, über mein Leben mit Depressionen zu bloggen. Einerseits, um meine Gedanken zu sortieren, andererseits, um anderen Menschen mit dieser Erkrankung Mut zu machen. Depressiv zu sein kann unglaublich viel bedeuten. Jeder erlebt es auf seine ganz eigene Weise. Ich möchte gerne zeigen, dass es nicht nur Schattenseiten gibt, sondern auch ganz viele kleine Lichtmomente. Das sind die Tage, an denen ich genügend Energie habe, zur Arbeit zu gehen und diese wirklich gut mache. Tage, an denen ich mich über Kleinigkeiten, wie eine Überraschungspostkarte freue, an denen ich Spaß habe, mich mit anderen Menschen zu treffen und, an denen ich auch mal aus vollem Herzen lachen kann. Außerdem zeige ich Gesicht, weil ich den Wunsch habe, weiter über psychische Krankheiten aufzuklären – Tabus zu brechen, Stigmatisierungen abzubauen und Barrieren zu beseitigen.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

In meiner Familie wurde und wird leider sehr wenig über psychische Erkrankungen gesprochen. Als ich meine erste Psychotherapie begann, waren meine Eltern der Meinung, dass ich nicht ‚psychisch‘ krank sei und schon gar nicht eine Therapeutin bräuchte. So schlimm kann es schon nicht sein, meinten sie. Diese Erfahrung hat sehr viele Selbstzweifel in mir ausgelöst. Bin ich wirklich krank? Oder übertreibe ich nur? Darf ich mir Hilfe holen? Ich bin froh, dass ich trotzdem auf einen Teil in mir gehört habe und weiter zur Therapie gegangen bin. Meine Eltern haben das Ausmaß meiner Erkrankung erst sechs Jahre später bei meinem zweiten Klinikaufenthalt verstanden. Es fällt ihnen immer noch schwer, es vollkommen zu akzeptieren, aber mein Vater respektiert mittlerweile meine Lebenslage und macht mir sogar hin und wieder Mut. Das war ein langer, harter Kampf!
Meine wenigen sozialen Kontakte haben es nur wegen meiner alltäglichen Handlungen bemerkt. Ich bin nicht mehr zur Berufsschule gegangen und habe mich immer weiter isoliert. Einige Kontakte blieben, einige gingen.
Ich hätte mir von meiner Familie und von meinen Freunden gewünscht, dass ich respektiert werde, so wie ich bin. Natürlich kann niemand nachvollziehen, wie sich eine Depression anfühlt, wenn er/sie es noch nicht selbst erlebt hat. Aber es hätte schon gereicht, für mich da zu sein und mir zu zeigen, dass ich vollkommen okay bin.

 

Welche Dinge haben Dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Meine Depression als einen Teil von mir zu akzeptieren, mit dem ich leben muss, hat einige Jahre gedauert. Ich bin mir nicht sicher, was mir letztlich geholfen hat. Ich denke, es war eine Mischung aus Psychotherapie, Klinikaufenthalten und der Austausch mit anderen Betroffenen. Es ist unglaublich erleichternd zu begreifen, dass es andere gibt, die dich mit all deinen Gedanken und Gefühlen verstehen können. Da es mir schwerfällt, soziale Kontakte aufzubauen, bin ich über die Möglichkeit des Austausches im Internet sehr dankbar. Dadurch sind schon einige enge Freundschaften entstanden.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Wenn es mir richtig schlecht geht, versuche ich mich irgendwie zu aktivieren. Morgens erstmal aufstehen, mir ein gutes Frühstück machen und nicht zu viel auf einmal planen, sondern jede Aufgabe Schritt für Schritt angehen. Körperliche Bewegung, z.B. ein Spaziergang, Sport oder auch putzen, helfen mir für kurze Zeit mich besser zu fühlen. Mir hilft es auch kreativ zu sein. Und natürlich das Schreiben. Im Grunde ist es ein stetiges Ausprobieren, was gerade passend ist. In der Verhaltenstherapie habe ich gelernt, dass ich gerade in schwierigen Phasen gut zu mir sein soll. Das bedeutet negative Gedanken zu identifizieren, auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und in positive Gedanken umzuwandeln. Keine einfache Aufgabe, vor allem wenn die Gefühle durch das jahrelange Programmieren und Erleben einem etwas ganz anderes vorgaukeln.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Ihr seid nicht alleine mit euren Gedanken und Gefühlen. Vor allem seid ihr nicht ‚falsch‘ oder ‚schlecht‘ sondern vollkommen okay und liebenswert! Lasst euch bloß nichts anderes einreden.

Es gibt Hilfe – egal ob online oder offline. Ihr dürft euch vertraute Personen dazu holen – Hausarzt, Psychiater, Therapeut oder erstmal eine anonyme Beratungsstelle. Traut euch!

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Seid für den Betroffenen da, auch wenn ihr seine Erkrankung nicht nachvollziehen könnt. Respektiert ihn weiterhin als Menschen, nehmt ihn ernst und steckt ihn bitte in keine Schublade. Achtet darauf, die Krankheit nicht dauerhaft in den Mittelpunkt zu stellen, sondern behandelt eure Liebsten völlig ‚normal‘. Ganz wichtig: Hört genau hin, denn meist äußern wir Betroffenen sehr eindeutig, was wir gerade brauchen. Ihr solltet aber auch gut auf eure eigenen Grenzen aufpassen. Holt euch ebenfalls Hilfe, wenn es zu belastend wird. Es gibt mittlerweile sehr gute Angebote für Angehörige.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin eine sehr einfühlsame Person, die zwar lange braucht, um Vertrauen aufzubauen, dann aber eine loyale und treue Seele ist. Ich kann gut zuhören und habe meinen ganz eigenen Humor. Was ich besonders an mir schätze ist, dass ich bis heute trotz der Depression nicht aufgegeben habe. Ich bin eine Kämpferin auf der Suche nach Lösungsmöglichkeiten!

Annie bloggt auf: www.hoffnungsschein.de.