Generalisierte Angststörung: Natürlich bringt meine Erkrankung ihre Schwächen mit sich – aber die wiederum machen mich stärker!

Betroffene: Nora
Jahrgang: 1985
Diagnose: generalisierte Angststörung
Angehöriger: Marcel
Therapie: tiefenpsychologisch fundierte Therapie
Ressourcen: Therapeutin, Partner, Freunde, Selbsthilfegruppen, Schreiben, Tiere, Musik, Achtsamkeits- und Imaginationsübungen

 

Warum hast du dich entschieden, Gesicht zu zeigen?

Ich zeige Gesicht, weil ich inzwischen verstanden habe, dass ich nicht komisch oder anders als andere bin, sondern einfach nur eine Erkrankung habe. Und vor allem, weil ich mich nicht mehr verstecken möchte!
Seit meinem 18. Lebensjahr sehe ich mich u.a. mit der Diagnose „Angststörung“ konfrontiert. Diese Krankheit habe ich viele Jahre vor Bekannten, Kollegen und sogar engen Freunden versteckt.
Was mich letztendlich zu einem offeneren Umgang mit meiner Erkrankung ermutigte, war die Erfahrung, dass auch andere Betroffene sich mir gegenüber öffneten und von ihren psychischen Problemen erzählten. So merkte ich – ich war gar nicht so allein, wie ich mich bisher immer fühlte.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat?

Ich stellte zudem fest, dass die meisten Menschen mich trotz meines „Coming-outs“ genauso behandelten wie vor meiner Offenbarung. Vor allem auf langjährige Freundschaften schien mein „Geständnis“ keinen Einfluss zu haben.  Diese Erkenntnis verdeutlichte mir, was ich erst einige Jahre später so richtig verstand: Ich bin viel mehr als meine Diagnose!
Auch wenn ich aufgrund der Angststörung und auftretender Panikattacken zeitweise einige alltägliche Dinge, wie alleine einkaufen gehen, öffentliche Verkehrsmittel nutzen, ein Kino besuchen, nicht alleine bewältigen kann, so bin ich dennoch ein Mensch, in dem mehr steckt als die Angst. Stundenlang am Telefon über Wichtiges oder auch Belangloses quatschen, einen Film zu Hause ansehen oder eben gemeinsam einkaufen – das alles ist möglich, auch mit einer Angststörung!

 

Welche Dinge haben Dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Vor allem die Unterstützung meines Partners, der mich oft ermutigt, mich auch neuen Herausforderungen zu stellen, ist für mich sehr wichtig. Er akzeptiert mich in meinem Sein so, wie ich bin! Im Gegensatz zu meinen familiären Bezugspersonen hat er mich nie mit übertriebener Sorge um meine Zukunft konfrontiert und unter Druck gesetzt. Genau dieses Verhalten wünsche ich mir als Betroffene von meinem Umfeld!
Der Besuch von Selbsthilfegruppen hat mir ebenfalls viel mehr geholfen, meine Erkrankung zu akzeptieren, als ich es je gedacht hätte, denn anfangs hatte ich gegenüber solchen Gruppen diverse Vorurteile. Mittlerweile bin ich Mitglied in einer festen Gruppe und Gastgeberin in einem offenen Treff für Angst und Depression. Von den Mitgliedern werde ich so akzeptiert und respektiert, wie ich bin. Das gibt mir Kraft, mich ebenfalls gegenüber anderen Menschen zu öffnen und zu meiner Krankheit zu stehen. Dank dieser Treffen weiß ich nun, dass ich mich nicht mehr verstecken möchte.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

In schwereren Krisenzeiten helfen mir mein Psychiater, meine Therapeutin und im Notfall eine Tagesklinik. Dort lernte ich auch Achtsamkeits- und Imaginationsübungen, die mir bei starker Anspannung und Angstzuständen nun sehr gut helfen.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Im Kontakt mit anderen Betroffenen stelle ich häufig fest, dass diese sich aufgrund ihrer Erkrankung für wertlos halten oder sich gar als Last für ihr Umfeld empfinden. Dabei weisen vor allem psychisch Erkrankte ein hohes Maß an Empathie auf, können gut für andere sorgen, sind hilfsbereit und gute Zuhörer. Viele meiner Mitpatienten in der Klinik sind zudem kreativ überaus begabt – was sich vor allem in der Kunst- und Ergotherapie zeigt.
All diese Eigenschaften, halte ich für sehr wertvoll und kann sie inzwischen auch an mir selbst schätzen. Natürlich bringt meine Erkrankung ihre Schwächen mit sich, die mich aber wiederum stärker machen: So kann ich vor allem in den Selbsthilfegruppen-Treffen gut für andere da sein, Verständnis für ihre Gefühle oder ihre Situation aufbringen.

Es ist ein gutes Gefühl, anderen helfen zu können.

Genauso wichtig für mich war aber auch die Erkenntnis, mich wiederum im richtigen Moment vom Leid anderer abgrenzen zu können. Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ich für andere eine Unterstützung sein. Diese Erkenntnis hat mich so sehr gestärkt und ermutigt, dass ich dabei bin, für mich daraus ein berufliches Bild zu entwickeln. So bekommen die Lücken, die auf Grund meiner Erkrankung in meinem Lebenslauf entstanden sind, auch wieder einen Sinn.