Schizophrenie: Sei stolz auf dich. Denn außer dir weiß keiner, wie viele Tränen, Mut, Kraft und Vertrauen es gekostet hat, dort zu stehen, wo du heute bist.

Betroffene: Muriel
Jahrgang: 1980
Diagnosen: Schizophrenie, Posttraumatische Belastungsstörung
Therapien: Stationär, Tagesklinik, Ambulant
Ressourcen: Joggen, Tauchen, Lesen, Schreiben

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Ich wusste schon lange, dass etwas mit mir nicht stimmt. Mir war klar, dass Stimmenhören nicht normal ist. Aber die definitive Diagnose bekam ich erst, als ich den Bericht meines Psychiaters für die Rentenprüfung las. Darin stand, dass ich Paranoide Schizophrenie haben soll. Ich war schockiert. Die Prognose war laut Psychiater ungünstig. Ich sollte 100% erwerbsunfähig sein und nicht mehr arbeiten können.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Ich schreibe schon seit etwa sieben Jahren einen Blog, in dem ich über meine Erkrankung berichte. Außerdem betreibe ich seit etwa einem Jahr eine Webseite, die auf Blogs von Betroffenen psychischer Erkrankungen aufmerksam macht.
Seit einem Jahr mache ich die Ausbildung zur Peer Genesungsbegleiterin und arbeite als Praktikantin in einer Psychiatrischen Klinik. Außerdem beteilige ich mich an einem Projekt, in dem wir in Schulen über psychische Erkrankungen aufklären.
Mir liegt die Antistigma-Arbeit sehr am Herzen. Ich finde es wichtig, dass man über psychische Erkrankungen spricht. Damit kann man anderen Betroffenen Mut machen. Ich wäre froh gewesen, wenn ich mehr Informationen gehabt hätte, als ich meine Diagnose erhielt. Ich habe überall im Internet gesucht, aber nur wenig Brauchbares gefunden.

Gerade Berichte von Betroffenen sind sehr wertvoll. Die Message ist: Du bist nicht allein. Es gibt Hilfe.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Ich habe meinem Umfeld gar keine Chance gegeben zu reagieren. Als ich zum ersten Mal richtig erkrankt bin und in der Klinik war, habe ich alle sozialen Kontakte abgebrochen. Auch zu meinen Eltern hatte ich nur noch minimalen Kontakt.
Heute lebe ich in einem Umfeld, das die Erkrankung akzeptiert. Ich wohne in einem Wohnheim für Betroffene. Meine Eltern haben sich inzwischen mit meiner Erkrankung abgefunden, auch wenn sie nicht wirklich verstehen, worum es geht. Ich würde mir wünschen, dass das Umfeld ganz natürlich reagiert. Ich bin kein anderer Mensch, auch wenn ich psychisch krank bin. Klar, manchmal geht es mir nicht gut und da wäre ich froh, wenn das Umfeld Verständnis hat.

Aber grundsätzlich will ich weiterhin wie ein vollwertiger Mensch behandelt werden und nicht mit Samthandschuhen angefasst werden.

 

Welche Dinge haben Dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Ich muss zugeben, ich habe lange gebraucht, um mir selber einzugestehen, dass ich psychisch krank bin. Anfangs habe ich immer wieder versucht, aus dem psychiatrischen Setting auszubrechen, habe die Medikamente abgesetzt, bin nicht mehr in die Therapie gegangen. Das hat jedoch nicht so gut geklappt. Spätestens als ich auf dem Gleis stand und mich die Polizei abholte, musste ich einsehen, dass mein Innenleben doch nicht ganz „normal“ ist.
Ich habe viel zu lange darauf gehofft, dass die Medikamente wirken und ich dann keine Stimmen mehr hören würde. Mit dem Psychiater haben wir fast alle Medikamente durchprobiert, doch keines hat wirklich geholfen. Irgendwann habe ich kapituliert. Das hat darin geendet, dass extrem suizidal und hoffnungslos wurde.
Dann habe ich angefangen mit meiner Psychologin zu arbeiten und damit hat sich das Blatt gewendet. Ich bin nun seit fünf Jahren bei ihr in der Therapie und habe in dieser Zeit gelernt, mit den Stimmen umzugehen. Es ist schwierig und manchmal sehr schmerzhaft, aber meistens schaffe ich es, meinem Kopf über Wasser zu halten.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

In einer Krise versuche ich alles, um zur Ruhe zu kommen. Meistens ist die Krise verbunden mit unerträglich lauten Stimmen, die mich dazu auffordern Dinge zu tun, die gefährlich sind. Wenn es ganz schlimm ist, dann muss ich in die Klinik zur Krisenintervention. Sonst versuche ich möglichst engmaschig mit meiner Psychologin zu arbeiten.
Ich muss mich in solchen Situationen intensiv mit meinen Stimmen auseinandersetzen. Sie lassen sich nicht abwimmeln und ignorieren funktioniert auch nicht. Manchmal verfalle ich in eine Art Trance und kann das Bett nicht verlassen, weil ich so absorbiert bin und der Kampf mit den Stimmen so viel Energie braucht. Wenn ich noch handlungsfähig bin, dann gehe ich mit meinem Hund spazieren, versuche so viel Körperkontakt wie möglich mit meinem Hund zu haben. Das beruhigt und hilft.
Wenn ich die Krise erkenne, bevor sie zu schlimm ist, dann habe ich eine lange Liste von Skills, die ich anwenden kann: Wie zum Beispiel ein Bad nehmen, Malen, Joggen, Bloggen, Kreuzworträtsel oder Sudoku lösen etc.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Es gibt Hoffnung. Immer.

Ich war jahrelang Drehtürpatientin. Mittlerweile bin ich seit 1,5 Jahren nicht mehr in der Klinik gewesen. Alle sagten mir, mit meiner chronischen Schizophrenie werde ich mein Leben lang krank sein. Heute geht es mir gut. Ich mache eine Ausbildung, arbeite seit Juni 2017 als Praktikantin und werde Mitte 2018 eine Festanstellung antreten. Es gibt Hoffnung. Für jeden. Nicht aufgeben!

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Als Betroffene möchte ich einfach normal behandelt werden und nicht wie ein rohes Ei. Ich bin immer noch ich.

Ihr müsst nicht Rücksicht auf mich nehmen und mir Dinge verschweigen, nur weil ich psychisch krank bin. Ich bin ein Mensch und ich will ernst genommen werden.
Andererseits erwarte ich von Angehörigen Verständnis, dafür, dass ich, wenn es mir nicht gut geht, mich zurückziehe, mich manchmal wochenlang nicht melde oder Verabredungen absage. Ich mache das nicht, um euch zu ärgern, sondern einfach, weil ich überfordert bin.
Angehörige stehen oft auch unter Druck, sie sollten daher unbedingt auf sich achten und, wenn nötig, sich ebenfalls (professionelle) Hilfe holen.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin offen, tolerant, risikofreudig. Ich habe mehrere Jahre in Asien gelebt und gearbeitet, das hat mich sehr geprägt. Leider haben meine sozialen Kontakte unter der Distanz gelitten und so hatte ich, als ich erkrankt bin, fast niemanden mehr, der zu mir hielt.
Ich schätze an mir, dass ich es bis jetzt geschafft habe, nicht aufzugeben und immer gekämpft habe. Es war nicht leicht und manchmal wäre ich lieber gestorben.

Aber ich bin noch da und ich kann von mir behaupten, dass ich jetzt ein lebenswertes Leben lebe!

Muriel bloggt auf: Untertauchen.