Borderline, PTBS, Depressionen, Magersucht & Bulimie: Zeige denen, die dich fallen sehen wollen, dass du fliegen kannst.
Betroffene: Laura Adrian
Jahrgang: 1992
Diagnose: Borderline, PTBS, Depressionen, Magersucht, Bulimie
Therapie: ambulante Therapie, Klinikaufenthalt, stationäre Behandlung, Therapie in betreuter Wohngruppe, Kriseninterventionen in der Klinik
Ressourcen: Schreiben, mein Hund
Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?
„Anders“ war ich schon immer. Bereits im Kindergarten war ich ruhiger als andere und konnte laute Geräusche nicht ausstehen. Ich beschäftigte mich lieber alleine, anstatt in einer Gruppe zu spielen. In der Grundschule wurde ich deswegen gemobbt und später in der Realschule verprügelt.
Als ich 13 Jahre alt war, stellte eine Psychologin die Diagnosen Depression und PTBS, später kam Magersucht dazu, kurz danach Bulimie und in der Klinik wurde ich das erste Mal mit dem Begriff Borderline konfrontiert. Was das jedoch bedeutet, hat mir damals niemand erklärt. Es hieß lediglich, dass ich krank sei und wohl nie ein normales Leben führen könnte. Ich selbst habe mein Verhalten jedoch lange nicht als krank angesehen. Schließlich dachte ich, dass mir die angeblich kranken Verhaltensweisen beim Überleben helfen.
Natürlich log ich mich selbst an, aber hätte ich es nicht getan, würde ich heute nicht mehr Leben. Denn so verrückt es klingt: Alle kranken Verhaltensweisen haben mir zu Beginn das Leben gerettet. Es war ein Versuch, mein durcheinandergeratenes Leben wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?
Weshalb sollte ich mich verstecken? Ich bin und bleibe ich ein Mensch.
Die Diagnosen machen mich nicht zu einem Monster.
Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?
Viele haben sich von mir abgewandt, weil sie nicht wussten, wie sie mit mir umgehen sollten. Was ich auch verstehen kann! Ich glaube, ich hätte ebenfalls mit purem Entsetzen reagiert, wenn jemand mit 35 Kilo Körpergewicht vor mir steht und behauptet, er sei fett. Oder wie reagiert man, wenn jemand sich so tief ins eigene Fleisch schneidet, dass es im Krankenhaus genäht werden muss? Meine Meinung dazu ist: Man kann es nicht. Man kann den Betroffenen nicht therapieren, man kann sein Denken nicht verändern. Das einzige, was man tun kann, ist, da zu sein, zuzuhören und eventuell den ein oder anderen Denkanstoß zu geben.
Man kann als Außenstehender nichts vorschreiben, man kann den Betroffenen nicht tragen, man kann ihn nur begleiten. Gehen muss derjenige alleine.
Was meiner Meinung nach hilft, ist, zuhören und wenn man etwas nicht versteht, nachfragen. Ich persönlich finde es nämlich schlimmer, wenn vorschnell über mich geurteilt wird, als wenn jemand auf mich zugeht und nachfragt, weshalb ich Narben habe oder warum ich manchmal anders reagiere als man erwartet.
Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
Ich habe damit aufgehört, darauf zu hören, wenn andere Menschen mir sagen, was ich angeblich nie erreichen würde. Seit meinem Jugendalter habe ich alles dafür getan, um mir zu schaden.
Als ich 2014 das letzte Mal an Suizid dachte, kam ich zu dem Entschluss, dass auf keinen Fall auf meinen Grabstein stehen sollte: „Sie war stets bemüht – aber hat es nicht geschafft“. Wenigstens einmal wollte ich spüren, was „leben“ bedeutet. Würde das nicht klappen, hätte ich wenigstens alles versucht. Also startete ich einen letzten Versuch. Anstatt sterben zu wollen, versuchte ich zu leben. Ich riss das Ruder herum und legte einen Senkrechtstart hin. Ich hörte nicht mehr darauf, was ich angeblich nie können würde, sondern dachte mir:
„Jetzt erst recht!“.
Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?
Ich gehe mit meinem Hund Gassi oder schreibe ein neues Buch.
Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Man sollte nie aufgeben. Und wenn man mit einer Richtung nicht weiterkommt, muss man manchmal einfach einen anderen Weg wählen. Es gibt kein Richtig oder Falsch. Jeder muss für sich entscheiden, was man selbst als richtig erachtet und was nicht. Außerdem ist das Leben nie nur schwarz oder weiß. Alles hat Vor- und Nachteile. Jeder Mensch besitzt Stärken und Schwächen.
Die Kunst im Leben ist es, nicht „unbesiegbar“ oder durchgehend perfekt zu sein, sondern die Kunst ist es, seine Stärken auszubauen und damit die Schwächen zu minimieren. Kein Mensch ist perfekt.
Des Weiteren sollte man sich nie einreden lassen, was man angeblich nicht kann. Wenn einer sagt: „Das bekommst du nie hin“, ist das seine Sicht der Dinge, nicht deine. Es sind seine Grenzen, nicht deine. Nur wenn du es versuchst, wirst du sehen, ob es wirklich unmöglich ist.
Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir
(einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?
Zuhören, nachfragen, keine Vorwürfe machen. Man kann und muss nicht für jedes Problem eine Lösung haben, manchmal reicht auch eine einfache Umarmung, damit es besser wird.
Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?
Ich bin unwahrscheinlich ehrgeizig und genauso schnell, wie meine Stimmung nach unten abrauscht, kann sie auch wieder in die Höhe schießen. Ich kann in Stresssituationen gut ruhig bleiben (mit Katastrophen kenne ich mich aus) und ich bin ein Querdenker. Durch die vielen negative Erfahrungen, die ich machen musste, habe ich deutlich mehr Lebenserfahrung als andere. Ich erkenne Probleme früher und besitze viel Empathie.
Laura hat einen Blog: Trotzdem leben und eine Autorenseite.