Borderline, PTBS, soziale Phobie, Essstörungen, Epilepsie: Angekommen – im Leben!
Betroffene: Julia
Jahrgang: 1980
Diagnose: Borderline, PTBS, soziale Phobie, Essstörungen, Epilepsie
Therapie: DBT, Traumatherapie, stationäre und ambulante Therapie, katathym-imaginative-Psychotherapie, Arbeit mit dem inneren Kind, medikamentöse Therapie
Ressourcen: Natur, Sport, Freunde, Kreatives
Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?
Solange ich denken kann, fühlte ich mich „anders“, nicht zugehörig. Mit Diagnosen wurde ich das erste Mal 1999 in einer Klinik konfrontiert. Damit brach dann eine regelrechte Diagnosenlawine los.
Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?
Ich habe mich entschieden Gesicht zu zeigen, da ich gerne authentisch leben möchte. Viele Jahre habe ich versucht, alles zu verstecken und dagegen anzukämpfen, dass ich „krank“ bin. Ich dachte, wenn ich die Vergangenheit lange genug ignoriere, dann verschwindet sie. Tut sie aber nicht! Meine Vergangenheit ist und bleibt ein Teil meines Weges. Doch offen damit umzugehen, aufzuhören mich zu verstecken, das hilft auch mir das Geschehene zu akzeptieren und es ins Hier und Jetzt zu integrieren. Ich sah es als Schwäche an, „krank“ geworden zu sein, als Makel, den es zu verbergen gilt. Mittlerweile sehe ich es als Stärke an, meinen Weg bis hierhin gegangen zu sein und das darf gezeigt werden. Oder?
Zudem möchte ich anderen Betroffenen Mut machen, an sich und ihr Potenzial zu glauben und sich eben nicht von Diagnosen abstempeln zu lassen.
Von den Ärzten damals wurde mir prognostiziert, dass ich mein Leben lang Medikamente nehmen muss und in geschlossenen Heimen leben werde. Das wollte und konnte ich so nicht hinnehmen. Heute lebe ich mit meinem Mann in einem kleinen Haus, bin komplett frei von Medikamenten und gehe einer geregelten Arbeit nach. Allerdings hätte ich das nicht ohne die Menschen geschafft, die an mich und mein Potenzial geglaubt haben – die schon immer mehr als eine Krankheit und Symptome in mir gesehen haben und unermüdlich an mich geglaubt haben. Gerade dann, wenn es mir selbst nicht mehr möglich war.
Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?
Mein Umfeld hat zuerst mit Hilflosigkeit reagiert. Im Laufe der verschiedenen Krankheitsphasen kamen Unverständnis, Angst, Resignation, Wut, Ungeduld und Ohnmacht hinzu. Aber ich erlebte auch Menschen, die an mich glaubten, die den Mut und die Ausdauer hatten, zu mir zu stehen und nicht aufgaben – auch wenn es teilweise über ihre Belastungsgrenze hinausging.
Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
Der wichtigste Schritt war zu erkennen bzw. zu verinnerlichen, dass ich nicht selbst schuld bin und, dass ich ein liebenswerter und wertvoller Mensch bin. Ich habe das große Glück, eine sehr einfühlsame Therapeutin zu haben, bei der ich genau diese Erfahrungen machen durfte. Sie nimmt mich ernst mit all meinen Gedanken und Gefühlen und bestärkt mich dadurch immer wieder aufs Neue, mich selbst auch so zu sehen und anzunehmen.
Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?
Die Arbeit mit dem inneren Kind ist für mich das Mittel der Wahl. Durch innere Dialoge kann ich den negativen Gefühlen schon sehr oft auf die Schliche kommen und sie lösen. Am allerbesten funktioniert das draußen in der Natur.
Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Lasst euch auf keinen Fall von Diagnosen, Ärzten oder Therapeuten einschüchtern und auf Symptome einer Krankheit reduzieren. Ihr seid sehr viel mehr als das und es steckt ein riesiges Potenzial in euch!
Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?
Rückblickend finde ich es am allerwichtigsten, dass Angehörige gut für sich selber sorgen und sich auch nicht scheuen, selbst Hilfe in Anspruch zu nehmen! Lasst den Betroffenen spüren, dass ihr zu ihm haltet und an ihn glaubt – auch wenn im Außen vielleicht Maßnahmen notwendig sind, die nicht schön sind.
Heute ist mir ein Umgang auf Augenhöhe wichtig, dass mir zugetraut und vertraut wird, dass ich die Verantwortung für mich tragen kann und ich mich melde, sobald ich glaube, Hilfe zu benötigen.
Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?
Ich denke, ich habe einen starken Lebenswillen, sonst wäre ich nicht mehr hier. Und ich kann in allem – gerade in der Natur – so viel Schönheit sehen, was mich sehr dankbar macht und mich erdet!