Psychisch krank und Psychologin – alles andere als ein Widerspruch!

Betroffene: Verena

Jahrgang: 1990

Diagnosen: Bipolare affektive Störung, Posttraumatische Belastungsstörung, früher: Anorexie, Bulimie

Therapien: frühere stationäre Aufenthalte, 7,5 Jahre lange ambulante Psychotherapie (tiefenpsychologisch fundiert)

Ressourcen: Natur & Tiere, Spazieren und Wandern in der Natur, Gespräche mit meinem Partner

 

Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren?

Ich spürte bereits in meiner Kindheit, dass irgendetwas mit mir anders war. Seitdem ich zehn Jahre alt war, gab es fortlaufend wechselnde Affekte, die meist über eine Phase von mehreren Monaten bis hin zu einem Jahr anhielten. Konkret war ich zum einen vollkommen in mich gekehrt, überaus traurig und betrübt. Mein Erleben war von erheblichen Selbstzweifeln geprägt. Zum anderen befand ich mich wie auf einem Höhenflug, war ziemlich aufgedreht, habe sehr verrückte Dinge unternommen, zum Teil zeigte ich Größenwahn. Als ich 15 und 16 war, habe ich über diesen Zeitraum sehr einschneidende Erfahrungen in meinem Leben gemacht, die bei meiner bereits geschwächten psychischen Stabilität das Fass zum Überlaufen brachte. Meine Psyche flüchtete sich in Essstörungen als misslungene Selbstheilungsversuche. Ab da wurde meine depressive Symptomatik schwerer und nahm ein Ausmaß an, in dem ich ernsthaft suizidal wurde. Um mich aus meiner Lage zu befreien, ging ich selbst in eine Kinder-und Jugendpsychiatrie. Anorexie war mit 16 meine erste Diagnose. Im frühen Erwachsenenalter folgten depressive und manische Episoden. Mit jedem Jahr wurde ich insgesamt ein Stück stabiler.

Ich reflektierte mich sehr viel selbst. Wollte immer verstehen, warum sich Menschen in dieser Weise verhalten wie sie sich verhalten und welche Umstände und Mechanismen für meine Symptomatik verantwortlich sind. Daher war mir klar, dass ich bereits seit meiner Kindheit erkrankt bin. Die Diagnose bipolare affektive Störung erhielt ich erst im Erwachsenenalter.

Mein Leben war und ist nach wie vor ein Kampf, den ich aber als Herausforderung bewerte, denn daraus bin ich gewachsen und wachse stetig weiter.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Die Entstigmatisierung von Menschen mit psychischen Störungen ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt, da ich im Alltag doch häufig feststelle, dass aus Unsicherheit mit dem Umgang eines Betroffenen lieber den einfacheren Weg der Distanzierung gewählt wird oder Vorurteile wie „psychisch Kranke sind faul oder schwach“, „das ist doch keine Krankheit“, „die wollen bloß nicht arbeiten“ in der Gesellschaft vorherrschen. Was letzteres betrifft, haben diese Menschen einfach kein Bewusstsein, kein Gespür für den Leidensdruck eines psychisch Kranken.

Das Wissen um Entstehung, Symptomatik und Aufrechterhaltung dieser ist nicht gegeben. Und zwar deswegen nicht, weil sie sich noch nie mit der Thematik ernsthaft auseinandergesetzt haben. Wie können sie das auch, wenn die Gesellschaft, die Politik nur wenig Raum dafür bringt?

Lange Zeit in langen akuten Krankheitsphasen musste ich mehrfach das Gymnasium unterbrechen bis ich ganz damit aufhörte. Meine Depression war zudem noch von enormen Zukunftsängsten geprägt – „aus mir wird nie was …“ Zu diesem Zeitpunkt hätte ich es niemals für möglich gehalten, jemals Abitur zu machen geschweige denn einen Beruf zu ergreifen. Meine Zukunftswünsche, Psychologie zu studieren, waren lediglich Träume, die zerplatzen, weil sie nicht realisierbar sind. Ich hing wie in der Luft mit nichts. Später brachte mich ein Zufall dazu, eine Ausbildung im sozialen Bereich zu absolvieren. Währenddessen musste ich mir wieder eine Auszeit nehmen, aber ich habe es trotzdem geschafft die Ausbildung zur Sozialassistentin zu beenden. Im Anschluss daran machte ich mein Abitur über den zweiten Bildungsweg, was ich zuvor nie für möglich gehalten hätte. Freudentränen weinte ich, als ich tatsächlich zum Psychologiestudium zugelassen wurde.

Mit meinem Motto „Psychisch krank und Psychologin – alles andere als ein Widerspruch wollte ich ein wenig provozieren, weil ich damit genau die Vorurteile „Psycholog*innen sind doch alle selbst krank“ oder „die wollte doch nur Psychologie studieren, um sich selbst zu heilen“ anspreche. Ja, einige Psycholog*innen haben oder hatten selbst psychische Probleme. Aber sie sind in der Regel die Menschen, die Psycholog*innen, die nie persönlich mit psychischen Störungen konfrontiert wurden, etwas sehr essentielles voraus haben: sie können sich aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen leichter in die Psychodynamiken und emotionalen Zustände der Patient*innen hineinversetzen, empathischer im Hinblick auf die Erlebenswelten der Patient*innen sein und authentischer von therapeutischen Maßnahmen sprechen. Das bedeutet aber nicht, dass Menschen, die nie von psychischen Störungen betroffen waren, die schlechteren Psycholog*innen sind. Ich kann sehr viel selbst nachempfinden, wovon Klient*innen berichten, mir fällt es unglaublich leicht, mich in andere Menschen hineinzuversetzen. Auf Basis der erlernten Techniken und meinen persönlichen Erfahrungen entsteht eine gute Mischung, ein gutes Potenzial, um eine tragfähige, vertrauensvolle Beziehung zu der*m Hilfesuchenden aufzubauen und sich ihm anzunehmen.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft) in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?

Ein Großteil hat sich abgewandt, aus Angst und Unsicherheit. Das sind die Gründe, die meist dazu führen, dass sich Menschen von einem psychisch Erkrankten abwenden. Es tat sehr weh, Menschen dadurch zu verlieren. Oft sind es Menschen, die selbst in irgendeiner Form betroffen sind, die Interesse zeigen und bei einem bleiben. Ich habe auch erlebt, dass einige meine Erkrankungen nicht ernst nahmen und mich als „schwach“ darstellten.

Ich wünsche mir von meinem Umfeld, von der gesamten Gesellschaft als Person, als Mensch mit all meinen Facetten wahrgenommen und ernst genommen zu werden. Das wünsche ich mir für alle Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden. Fragt diese Menschen, was ihnen gut tut, wie ihr unterstützen könnt,, fragt nach, wenn ihr etwas nicht versteht, habt keine Angst,  hört euch an, was sie zu erzählen haben, nehmt sie ernst so wie sie sind, das hilft ihnen meisten – denn sie unterscheiden sich nicht von allen anderen Menschen. Das ist mein Appell an die Gesellschaft im Umgang mit Menschen, die an einer psychischen Störung leiden.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Die Stärke, die ich durch jede psychische Krise gewonnen habe. Das Gefühl, nicht alleine zu sein.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Darauf zu vertrauen, was ich in der Vergangenheit gemeistert habe, auch wenn ich daran durch andere erinnert werden muss. Es die innere Stärke, die mir in Krisensituationen nicht ganz bewusst ist und mich doch immer rettet.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Sucht euch die Hilfe, die ihr braucht, gebt nicht auf, wenn es eine lange Suche nach der richtigen Hilfe wird. Ihr seid es wert, geachtet und geliebt zu werden wie jeder andere Mensch auch. Ihr seid stark, sonst hättet ihr es nicht bis hierhin geschafft- vergesst das nicht. Jede Krise ist überwindbar, auch wenn es sich währenddessen nicht so anfühlt. Ihr seid starke Persönlichkeiten, die bereits einiges gemeistert haben, mit dem viele Menschen erst gar nicht konfrontiert werden. Ihr habt ihr den meisten Menschen einiges voraus: ihr seid durch Höhen und Tiefen gegangen und mit jedem Mal stärker geworden. Vergesst das nicht! Lernt eure Stärken kennen, mit denen ihr durchs Leben geht.

Ihr seid es wert, einfach nur deswegen, weil ihr seid.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Ich kann nur appellieren: fragt eure Angehörigen, was ihnen am meisten hilft, was ihr tun könnt. Manchmal hilft es auch bloß, einfach nur da zu sein und nichts zu sagen. Fragt sie, was sie von euch brauchen. Sie werden es euch sagen. Nehmt sie so an wie sie sind – als Mensch, das hilft ihnen am meisten.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich charakterisiere mich als sehr empfindsam, kreativ, humorvoll, ver-rückt, ich bin mutig, wo andere wegschauen und willenstark. Ich kann mich sehr gut in andere Menschen hineinversetzen und akzeptiere jeden Menschen so wie er ist. All das schätze ich an mir sehr.