Generalisierte Angststörung: Eine Krise ist Mist – und Mist ist Dünger.
Betroffener: Torsten Jäger
Jahrgang: 1979
Diagnosen: Generalisierte Angststörung
Therapien: Konfrontationstherapie
Ressourcen: Schreiben, Lesen, Gartenarbeit, Naturschutz, Tierschutz, Handwerkliches
Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?
Das war im Frühjahr 1997. Damals überkam mich bei einem Job als Prospektverteiler plötzlich das Gefühl, nicht mehr richtig einatmen zu können. Ich sog die Luft krampfhaft in mich hinein, und so wurde das Gefühl zu ersticken immer stärker. Auch begann mein Herz zu rasen, mir wurde schwindlig, in meinen Händen und Füßen begann es zu kribbeln. Ich ging zum Hausarzt, der eine Panikattacke feststellte. Er überwies mich zum Neurologen und der stellte nach einem Gespräch eine „Generalisierte Angststörung“ fest, schickte mich zum Psychotherapeuten, bei dem ich dann fünf Jahre in Therapie war.
Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?
Es ist wichtig, dass Betroffene aus der Versenkung kommen und klar zeigen, dass es sie gibt. Menschen mit psychischen Erkrankungen werden heute noch immer stigmatisiert, ausgegrenzt und belächelt. Deshalb habe ich schon zuvor Gesicht gezeigt, die Website www.wer-hat-angst.de erstellt und drei Bücher geschrieben. Zuletzt erschien das Ebook „Wolf im Mandelkern“, in dem ich über die Entstehung der Angst, über die Panikattacken, die Therapie und den erfolgreichen Weg aus der Angsterkrankung berichte. Auch in meinen bisher veröffentlichten Krimis gehe ich auf psychologische Zusammenhänge ein.
Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?
Zum Glück habe ich verständnisvolle Eltern, die mir Halt gegeben haben. Von meinen Freunden und Familienmitgliedern kann ich das leider nicht behaupten. Da kamen schon mal Aussagen wie, „Was willst du beim Psychotherapeuten? Du bist doch nicht verrückt!“ oder „Wenn du so weitermachst und nicht endlich einen Beruf lernst, wirst du irgendwann als Straßenkehrer enden oder als Sozialhilfeempfänger.“. Man hatte kein Verständnis dafür, dass alles seine Zeit braucht. Meine Mobbing-Erfahrungen aus der Schulzeit, aus denen die Angsterkrankung vorwiegend resultierte, waren einfach noch zu präsent. Für manche war ich auch eine Art Simulant oder Sensibelchen. Selbst von offizieller Stelle kamen klare Ansagen: Das Arbeitsamt teilte mir mit, ich solle mich jetzt endlich mal zusammenreißen, denn später, wenn ich erwachsen sei, könne ich mich auch nicht so aufführen. Statt zu helfen, lautete hier die Devise: Sperren. Mit dem Argument, ich sei arbeits- und ausbildungsunwillig, strich man meinen Eltern das Kindergeld.
Ich hätte mir gewünscht, dass man mit mehr Verständnis oder wenigstens Respekt auf mich zugegangen wäre. Dass man mir Zeit gelassen hätte, wieder auf die Beine zu kommen – anstatt mir weitere Knüppel zwischen die Beine zu werfen, und mich für eine Krankheit zu bestrafen, für die ich nichts konnte.
Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
Mehr Gelassenheit und die Einsicht, dass alles seine Zeit braucht und hat. Zu mehr Klarheit hat auch das Niederschreiben von Gedanken und Emotionen geführt.
Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?
Die „Natur“ ist für mich ein wichtiger Kraftgeber. Spaziergänge, Vogelgezwitscher, Froschkonzerte, aber auch allgemein Bewegung an der frischen Luft. Ein Stück weit gab mir die Bewegung auch mehr Kondition und somit ein besseres Körpergefühl.
Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
So tief auch das Tal ist: Es gibt immer ein „Aufwärts“. Eine Krise wird oft als negativ angesehen, doch sie birgt auch die Chance der Veränderung und des Wachstums.
Ich habe sehr viel Kraft, Klarheit, aber auch Leidenschaft (die Schriftstellerei und den Naturschutz) durch die Krise gewonnen.
Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?
Sie sollten Geduld haben mit dem Betroffenen, sollten unterstützen, aber nicht drängen. Gute Ratschläge können nur Denkanstöße sein, denn keiner kann sich wirklich in die Situation eines anderen hineinversetzen. Aufgrund unterschiedlicher Biographien, Charaktere und Persönlichkeiten können diese Ratschläge wirklich nur Denkanstöße sein. Der eigentliche Impuls der Veränderung erwächst im Geist des Betroffenen, wenn es soweit ist. Wenn die Angehörigen dies akzeptieren und die Situation des Betroffenen respektieren, ist es leichter für alle Beteiligten.
Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?
Ich bin zielstrebig und gerechtigkeitsliebend, manchmal etwas verbissen und ungeduldig. Aus meinen Erfahrungen heraus entstanden weitere Charakterzüge, wie Empathie, Sensibilität und Hilfsbereitschaft. Am meisten schätze ich meine Empathie, denn sie hilft mir nicht nur im Umgang mit anderen Menschen. Ihr Ursprung ist auch das bewusste Erkennen eigener Emotionen, das Zulassen dieser und das bewusste Erleben der Verbindung zwischen Körper und Seele.
Mehr könnt ihr erfahren unter: wer-hat-angst.de und tojaeger.wordpress.com.