Borderline, PTBS und Depressionen: Du kannst meine Erkrankungen nicht sehen, doch sie sind da und tun mir weh!

Betroffene: Anna N.

Jahrgang: 2001

Diagnosen: Borderline, PTBS, Depressionen

Therapien: kognitive Verhaltenstherapie, mentalisierungsbasierte Therapie, tiefenpsychologische Therapie, verschiedene psychiatrische Ergotherapiegruppen

Ressourcen: Schlagzeugerin in einer Band, autodidaktisches Erlernen von Instrumenten wie Klavier, Gitarre, Schlagzeug … singen, malen, kreativ sein, häkeln, Katzenmama, meine neuen Freunde, komischer Humor, ich bin ausgebildete Erzieherin

 

Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren?

Ich hatte mein Leben lang depressive Phasen und habe mich stetig im Überlebensmodus in den Vollzeit-Arbeitsalltag überarbeitet, bis ich schließlich im Herbst 2023 einfach nicht mehr konnte. Plötzlich überraschte mich von einem auf den anderen Tag eine Migräneattacke und ich konnte nicht mehr am Alltag teilnehmen. Ich lag wochenlang nur noch im Bett. Mit den Schmerzen unddem Gefühl der Ohnmacht bahnte sich die Depression ziemlich schnell an. Im Winter 2023 hatte ich meinen ersten stationären Aufenthalt auf einer Neurologie Station mit dem Verdacht auf einen Schlaganfall.

Ich hatte Schwierigkeiten bei der Balance und saß dadurch mehrere Wochen auch im Rollstuhl. Die erste Diagnose in meinem Leben: Migräne – und das gleich chronisch. Meine Lage brachte mich in eine unschöne Situation und man fuhr mich in dieNotaufnahme in Richtung Psychiatrie. Kurz gesagt: Ich glaube, es ist schön, manchmal heute noch auf der Welt zu sein. Das hätte ich damals nicht gedacht. Während diesem Aufenthalt in der stationären Psychiatrie, wurde ich leider fehldiagnostiziert. Naja, außer der immer wiederkehrenden Depression. Das war mir und den Therapeuten dann schon klar. Bei einem Aufenthalt inder teilstationären Psychiatrie ging es dann mit den Diagnosen zur Sache und ich hatte erstmals das Gefühl, dass man MICH gefragt hat, wie es mir geht und nicht über mich entscheidet. Nach einer Woche auf der Teilstationären wurde ich mit Borderlinediagnostiziert. Drei Wochen darauf mit der posttraumatischen Belastungsstörung. Ich habe also ca. im Jahreswandel von Dezember 2023 bis Januar 2024 in der Tagesklinik von meinen Erkrankungen erfahren.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Ich habe schon immer gern mein Gesicht gezeigt. Früher sogar so richtig vor einer Spiegelreflexkamera. Mit meiner jetzigen Depression und der Phase, dass ich nicht arbeiten kann, leidet so ziemlich mein Selbstbild und meine Selbstwirksamkeit darunter. Ich sehe, wie mein Körper gerade sehr im Wandel ist und bin gerade sehr auf der Borderline zwischen body dysmorphia und ‘wow ich bin voll zufrieden mit mir’.

Als ich mich bei den Mutmachleuten meldete, sah ich meine Chance mich wieder zu zeigen. Ich sah die Möglichkeit, meine Werte zu zeigen, wieder das Haus zu verlassen und mich auch ein bisschen zu schminken. Ich sah den Vorteil darin, mich zu zeigen und mich ablichten zu lassen, dass ich vielleicht mehreren Menschen meine Haltung zeigen kann und beweisen kann, dass ich liebenswert bin und mein Leben lebenswert ist. Ich stellte mich mit dem Fotoshooting schließlich komplett gegen meine inneren Gedanken.

Normalerweise bin ich Erzieherin und kann bewusst mit meiner Vorbildfunktion den kleinen Kindern in der Kita ein gesundes Miteinander vorleben – doch mit meiner Arbeitsunfähigkeit sehe ich für mich eine kleine Aufgabe darin, dass ich weiteren Mitmenschen Mut machen kann, Mut machen kann eben nicht still zu sein und das Leiden nicht allein bewältigen zu müssen. Dafür bin ich Tina und den Mutmachleuten so dankbar, dass mir nun auch der Platz geboten wird.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft) in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?

Kurz und knapp, weil mir diese Frage besonders schwer fällt: Familiär wurde ich emotional teilweise sehr im Stich gelassen. Meine Wahrnehmungen und Gefühle werden mir bis heute abgesprochen und für die vietnamesische Community gibt es schließlich nur glückliche Gesichter. Meine Diagnosen werden als Kopfschmerzen zusammengefasst und so stehe ich da. Meine Familie ist größtenteils für meine traumatischen Erfahrungen verantwortlich. Mit meinen Freunden versuche ich offen über meine Krankheiten zu sprechen.

Meine Freunde haben sich zu meinen Diagnosen interessiert informiert. Das wünsche ich mir ebenfalls von der Gesellschaft. Ich wünsche mir, dass ich nicht mehr täglich gegen die Stigmata der Diagnosen ankämpfen muss. Denn auch diese bauten erst große Hürden bezüglich fremden Menschen auf. Ich wünsche mir, dass man bei offenen Fragen MIT mir spricht, statt ÜBER mich.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Ich beschäftige mich nach wie vor mit den Ursprüngen meiner Verwundbarkeit und arbeite in verschiedenen Therapien meine Kindheit, Jugend und Gegenwart auf. Ich versuche den wahren Bösewicht meiner Geschichte zu erkennen und kann mir selbst so verzeihen. Ich gehe oft in den inneren Monolog und frage mich, was ich der traurigen Baby-Anna sagen würde, um sie glücklicher zu machen. Oder ich frage mich oft, was ich meiner besten Freundin zu dieser Situation sagen würde und versuche, mich so zu vertrösten. Ich versuche mich selbst so zu behandeln, als wäre ich meine beste Freundin. Das ist oft nicht leicht undmanchmal ist diese Freundschaft eine toxische Hassliebe. Manchmal stelle ich mir vor, dass ein Kind aus meiner Kita mit meinen Problemen vor mir steht und nun meine Reaktion erwartet. Als Erzieherin kann ich angemessen reagieren. Doch nun bin ich das Kind mit den ganzen Problemen und verdiene ebenso die ganze Liebe und Zuwendung, die ich, Anna, immer für andere Menschen übrig habe. Doch das vergesse ich oft oder kann dies nicht anwenden.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

  • Musik hören, musizieren, singen, häkeln, stricken
  • Emotionen zulassen, das Weinen zulassen
  • sich groß machen, sich strecken
  • eine Atemübung
  • einen Schluck Wasser trinken
  • etwas essen
  • Wut an einem Wutkissen auslassen und schreien
  • schlafen und auch in den Schlaf weinen
  • mal heiß und dann eiskalt duschen
  • Momo (meinen Kater) streicheln
  • ganz fest meine Skillringe und Igelbälle drücken
  • Erkältungsbalm unter die Nase schmieren
  • zur Not eine “Skillkippe”
  • Wahrnehmungsübung: Wie viele (z.B.: gelbe) Sachen sehe ich? Und dann zählen
  • positive Affirmationen laut aufsagen und auch schreien
  • Freunde anrufen

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Es ist so wichtig, sich seinen eigenen Grenzen treu zu bleiben und sich nicht mit den eigenen Zielen zu belasten. Mit kleinen Schritten voran, erreicht man große Ziele. Mit kleinen Schritten kann man den Weg beschreiten und sich so immer weiter motivieren weiterzumachen.

Außerdem kann ich anderen Betroffenen mitgeben, dass es so von Bedeutung ist, seine Gefühle wahrzunehmen und diese nicht zu unterdrücken. Jede Person fühlt – wir sind doch (noch) keine Roboter. Traut euch auch, mit anderen Personen über eure Gefühlslage zu sprechen und fordert euch gegenseitig dazu auf, STARK und MUTIG zu sein.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben?

Ich weiß, dass Angehörige (im besten Fall) nur helfen wollen. Am meisten hilft mir, dass Angehörige aktiv zuhören. Das bedeutet, dass man einer Person zuhört, weil man wirklich aufrichtiges Interesse hat. Und man hört zu, ohne direkt darauf etwas antworten zu wollen. Denn oftmals sind ein offenes Ohr und eine Umarmung alles, was Betroffene brauchen. Ratschläge sind eher wie Schläge – die sind weniger hilfreich. Antwortet am besten konkret auf gestellte Fragen. Ich habe die Erfahrung darin gemacht, dass der Weg zur weiteren Therapie allein sehr schwer ist. Begleitet die Suche nach Therapeuten etc. am besten oder informiert euch zusammen nach weiteren Vernetzungspunkten.

Lasst uns nicht allein.

 

Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Es ist für niemals falsch, sich zu fragen: was ist eigentlich dein/mein Bedürfnis? Was brauchst du, was ich dir geben kann, dasses dir besser geht? Weißt du, ob du gerade für dich sorgen kannst oder muss ich mich um dich sorgen?

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin eine empathische, offene und aufmerksame Person. Ich versuche Menschen stets freundlich zu begegnen. Meine Gefühle äußere ich meinem Gegenüber sehr transparent und ich versuche, wortgewandt und reflektiert zu sprechen. Ich schätze mich als hilfsbereit ein und falle in einem Raum voller Leute als eine positiv gestimmte Person auf, die den einen oder anderen zum Lachen bringen kann. Ich habe unheimlich viele Kapazitäten darin, anderen Liebe und Aufmerksamkeit zu schenken. Ich strebe als Mensch eher nach Harmonie und möchte mich derzeit auf die kleinen Momente im Leben konzentrieren, die mich noch erfreuen können.

Anna ist auf Instagram: @annanasnugget