Depression: Ohne meinen Humor wäre ich längst wahnsinnig geworden.
Betroffene: Erna
Jahrgang: 1985
Diagnosen: Depression (zuvor Phobien und Zwangsstörung)
Therapien: Während der Phobien- und Zwangsstörungszeit Verhaltenstherapie, inzwischen Psychoanalyse plus Ergotherapie
Ressourcen: Spaziergänge, Freunde, Sport, Cafébesuche (zum Lesen, Klönen oder aus dem Fenster schauen)
Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?
Zu der Zeit, als es bergab ging, rechnete ich noch damit, dass mein Studienabschluss und der Umzug in eine neue Stadt meine Zwangsstörung reaktivieren würde und habe nicht begriffen, dass ich dieses Mal dabei war, in eine Depression zu rutschen. Gute Freunde haben sich Sorgen gemacht und machten mich darauf aufmerksam, dass meine ständige Niedergeschlagenheit und die Stimmungsschwankungen nicht einfach eine Phase waren, sondern dass es ernster war.
Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?
Ich rede in meinem Blog und auf meinem Twitteraccount bereits länger offen über das Thema. Durch meine Vorerkrankung (Phobien und Zwangsstörung) habe ich bereits zu einem gewissen Ausmaß gelernt, offener mit meinen psychischen Problemen umzugehen. Dennoch habe ich damals sowohl vor der Diagnose „Zwangsstörung“ als auch bereits während der Therapie viel Energie darauf verwandt, meine Erkrankung zu verstecken und Ausreden für seltsames Verhalten zu finden. Die Depression, die mein aktuelles Schlachtfeld ist, hat mir diese Energie komplett genommen. Selbst, wenn ich es gewollt hätte – ab einem bestimmten Zeitpunkt hatte ich einfach keine Kraft mehr zu verstecken, wie schlecht es mir ging. Mich nicht verstecken zu müssen, war eine große Erleichterung, die es mir ermöglicht hat, mich ganz auf mich und die Therapie zu konzentrieren. Nachdem ich gemerkt hatte, dass es mir gut tut, offen zu sein und darüber zu reden, ist es mir zu einem Anliegen geworden, der Stigmatisierung etwas entgegenzusetzen:
wenn niemand über psychische Erkrankungen spricht, ist es auch kein Wunder, wenn Nicht-Betroffene keine Vorstellung davon haben, wie es ist, mit psychischen Krankheiten zu leben. Ich kann darüber reden, also mache ich es.
Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?
Ich habe weder damals zu Zeiten der Zwangsstörung, noch heute mit der Depression negative Reaktionen erhalten. Niemand hat sich von mir abgewandt. Im Gegenteil:
sobald ich mich geöffnet habe, trauten sich auch andere aus der Deckung: Der Satz „Ich auch“ fiel nicht selten.
Ich habe das Glück, viele Betroffene und/oder „Fachpersonal“ (Psychologiestudenten/Therapeuten in Ausbildung) in meinem Freundeskreis zu haben. Das erleichtert natürlich die Offenheit. Aber auch bei der Arbeit kann ich offen mit dem Thema umgehen. Ich bekomme oft Fragen dazu gestellt, manchmal auch unbeholfene – aber jede unbedarfte Frage ist mir lieber, als wenn hinter meinem Rücken spekuliert wird.
Welche Dinge haben Dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
Auch hier war meine Vorerkrankung von Vorteil. Da ich bereits akzeptiert hatte, einen Knacks zu haben, war die Depression eben eine neue Variante, die ich zwar anfangs nicht wahrhaben wollte, dann aber doch relativ schnell akzeptiert habe.
Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?
Ich versuche, nicht allein mit der Situation zu sein, sondern jemanden zu finden, der mir zuhört. Das waren und sind oft Freunde, aber auch Twitter ist inzwischen für mich zu einer digitalen Selbsthilfegruppe geworden, in der immer jemand da ist, der/die zuhört oder tröstet. Leider ist auch Schokolade eine (nicht sehr zu empfehlende) Ressource…
Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Seid ehrlich zu Euch selbst und gesteht es Euch ein, wenn ihr alleine nicht mehr weiter kommt. Es ist weder Schande noch Schwäche, um Hilfe zu bitten und diese anzunehmen. Öffnet Euch Personen, denen ihr vertraut und schämt Euch nicht, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch Medikamente können eine Hilfe sein.
Ja, der Weg ist anstrengend und er kostet Kraft – aber tatenloses Verharren kostet noch mehr.
Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?
Fragt, was der oder die Betroffene braucht. Vielleicht ist es eine Umarmung, Hilfe bei der Therapeutensuche, Unterstützung im Haushalt oder einfach jemanden, der nur zuhört und nicht versucht, Ratschläge zu geben. Oft ist es wertvoller, wenn einfach anerkannt wird, dass es gerade sch**** ist und nichts schöngeredet wird.
Kauft Euch einen Ratgeber, recherchiert im Internet oder besucht vielleicht eine Selbsthilfegruppe für Angehörige, um etwas über die Krankheit zu lernen, aber auch, um selbst mit der Situation fertig zu werden.
Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?
Was mich ausmacht – und mir auch während der schlimmen Phasen höchstens kurzfristig abhandengekommen ist – ist mein Humor. Ohne ihn wäre ich wohl längst wahnsinnig geworden. Mein Humor ist auch die Eigenschaft, die mir am meisten dabei geholfen hat, einen Weg zu finden, mit der Depression umzugehen. Sie anzunehmen und auf meine Art und Weise etwas Greifbares aus all den abstrakten Dingen, die in mir vorgehen, zu machen. Es fing mit einigen Tweets an, aus denen dann etwas gewachsen ist, das inzwischen sehr wichtig für mich ist.
Eine weitere Eigenschaft, die während der Depression weitestgehend verschollen war, aber dennoch im Kampf gegen psychische Großwetterlagen für mich enorm wichtig war und ist und wieder sein wird, ist mein Dickschädel. Er gibt mir den Trotz, den ich brauche, um mich nicht überrollen zu lassen, um den Willen zu finden, weiterzukämpfen und mein Leben nicht komplett von den psychischen Problemen bestimmen zu lassen. Das gelingt nicht immer und hat mich auch nicht vor einer langen Arbeitsunfähigkeit bewahrt, ist aber im Kampf zurück an die Oberfläche sehr wichtig.
Erna bloggt auf: Erna Unplugged