Madeline

Dysthymie: Psychische Erkrankungen lassen sich nicht „zerschweigen“ – das macht sie nur mächtiger!

Betroffene: Madeline
Jahrgang: 1991
Diagnosen: Rezidivierende depressive Störung, Dysthymie
Therapien: Teilstationäre Klinikaufenthalte, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, ambulanter psychiatrischer Pflegedienst, Soziotherapie
Ressourcen: Kreatives Schreiben, bloggen, fotografieren, Tennis

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Meine Diagnosen bekam ich 2015 in der Tagesklinik. Während meines 11-wöchigen Aufenthalts erhielt ich die Diagnosen „schwere depressive Episode“ und „Dysthymie“. Die Dysthymie, eine langanhaltende depressive Stimmung, zeigte sich rückblickend schon seit meiner frühen Jugend – nur, dass es in dieser Zeit eben auch sehr schwierig war zu unterscheiden zwischen den Auswirkungen der Pubertät und einer ernsthaften psychischen Erkrankung. Mit Beginn meines Studiums wurden die Probleme größer, bis ich nicht mehr fähig war, meinen Lebensalltag zu bestreiten. Letzten Endes konnte ich so gut wie nichts mehr, also sah ich für mich nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder ich gab meinem Leben noch eine Chance, indem ich Hilfe zuließ, oder ich würde aufgeben. Ich habe mich für die Chance entschieden.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Ich weiß, wie schwierig es sein kann, erstmals Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich einzugestehen, dass es so, wie es ist, dass es so nicht weitergehen kann. Ich selbst habe Jahre gebraucht, den ersten Schritt zu gehen – obwohl ich lange geahnt habe, dass meine Symptome weit über ein Stimmungstief hinausgingen. Der Aufenthalt in der Tagesklinik war für mich ein Startschuss in ein anderes Leben und die bedeutendste Erfahrung, die ich in meinem Leben jemals gemacht habe. Ich möchte jeden, der psychische Probleme hat, dazu ermutigen, Hilfe zuzulassen und seinem Leben die Möglichkeit zu geben, besser zu werden. Zudem sind psychische Erkrankungen noch immer mit vielen Stigmata behaftet, die es sowohl Betroffenen als auch Angehörigen schwermachen, vorurteilsfrei mit der Situation umzugehen. Ich möchte bei der Aufklärung helfen und zeigen, dass die Depression nichts mit Schwäche zu tun hat und Scham völlig unbegründet ist.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Mein Umfeld hat im Großen und Ganzen sehr verständnisvoll reagiert. Viele waren nicht überrascht über meine Diagnosen und reagierten sehr neugierig und interessiert. Ich würde mir wünschen, dass Angehörige den Weg des Betroffenen verständnisvoll begleiten und unterstützen, ohne selbst den Therapeuten spielen zu wollen. Viele neigen dazu, die Menschen zu vergleichen und damit voreilige Schlüsse zu ziehen, doch jeder fühlt anders. Leidensdruck ist immer individuell!

 

Welche Dinge haben Dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Am meisten geholfen haben mir die Therapien und die damit verbundene Aufklärung über psychische Erkrankungen. Jetzt, wo ich verstehe, was mit mir los ist, kann ich auch besser mit der Tatsache umgehen, dass mich die Depression wahrscheinlich bis an mein Lebensende begleiten wird (→ das ist nicht allgemeingültig: Eine depressive Störung kann heilbar sein!). Was ihre Einflussstärke auf meine Lebensqualität und meinen Alltag betrifft, habe ich aber auch noch ein Wörtchen mitzureden!

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Da ich zu hohen Spannungsniveaus neige, habe ich gelernt, mit Skills zu arbeiten, um die Anspannung kurz- oder langfristig zu senken. Das können eine eiskalte Dusche, Akupressur-Bälle, Aromatherapie, Achtsamkeits- und Atemübungen oder Spaziergänge sein – je nachdem, welchen Skill ich für die akute Krisensituation als hilfreich empfinde. Am wichtigsten ist für mich aber der Austausch mit anderen Menschen. Ich habe sehr gute Freunde, die ich in einer solchen Situation zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen kann.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Gebt nicht auf und nehmt Hilfe in Anspruch! Und lasst euch bloß nicht durch lange Wartezeiten bei Ärzten und Psychotherapeuten entmutigen: Es kann leider ein sehr müßiger Weg sein, Termine zu bekommen, doch es lohnt sich.

Euer Weg ist noch nicht zu Ende und er kann sich ändern, wenn ihr eure Möglichkeiten wahrnehmt!

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Zeigt Mitgefühl, informiert euch über die Krankheit und steht dem Betroffenen so gut ihr könnt zur Seite. Hört zu, seid geduldig und versucht nicht zu vergleichen. Habt auch Verständnis für eure Situation und denkt daran, euch selbst dabei nicht zu vernachlässigen.

Auch Angehörige haben die Möglichkeit und das Recht, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich versuche immer, möglichst weitsichtig und reflektiert durchs Leben zu gehen. Und ich bin auch etwas stolz, dass mir das zum großen Teil gelingt.

 

Madeline bloggt auf: Learning to Live