Depressionen: Sei kein Opfer. Sei ein Leuchtturm!
Betroffener: Stefan
Jahrgang: 1981
Diagnosen: Rezidivierende Depression; Angststörung
Therapien: Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (stationär und teilstationär), Verhaltenstherapie
Ressourcen: Kunst und Kreativität, Freunde, Familie, PMR & Autogenes Training, Zeit für mich
Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?
Die Diagnose Depression bekam ich zum ersten Mal mit 14. Ich hatte psychosomatische Beschwerden. Nach etlichen ergebnislosen Untersuchungen bei zig Ärzten stellte ein Neurologe die Diagnose Depression. Ich habe es damals aber nicht wirklich ernst genommen und nur ein paar Antidepressiva eingenommen. Erst mit 29 habe ich meine erste Psychotherapie gemacht, weil mir meine Frau die Pistole auf die Brust gesetzt hat. Mit 31 wurde die Diagnose auf wiederkehrende Depression und Angststörung erweitert.
Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?
Ich habe mich bzw. meine Erkrankung lange versteckt – das hat alles nur noch schlimmer gemacht. Jetzt möchte ich mich nicht mehr verstecken, weil es einfach Kraft kostet, den Schein zu wahren und die Lügenkonstrukte aufrechtzuerhalten. Diese Kraft kann ich an anderer Stelle viel besser verwenden. Außerdem bin ich immer wieder mit Ängsten und Vorurteilen über Depressionen und Psychotherapien konfrontiert. Wenn ich etwas dazu beitragen kann, diese Vorurteile zu mindern, dann tue ich das gern. Ein Leben mit Depressionen ist schwer genug, da kann ich keine Verurteilungen gebrauchen. Und letzten Endes bin ich trotz meiner Erkrankung ein normaler Mensch!
Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?
Damals in der Schule waren die Reaktionen desaströs. Ich wurde ohnehin schon ständig gemobbt oder einfach ignoriert. Als ich dann offen über meine Depressionen gesprochen habe, wurde es nur noch schlimmer. Deswegen habe ich jahrelang versucht, meine Krankheit zu verstecken und zu verdrängen.
Als ich meine erste Therapie machte, waren die Reaktionen gemischt. Einige haben sich still und leise abgewandt, andere haben mir ihre Hochachtung ausgesprochen, weil ich den Mut hatte eine Therapie zu machen und weil ich auch offen darüber spreche.
Ich wünsche mir von meinem Umfeld, dass es mich einfach anspricht und Fragen stellt. „Wie geht’s dir? Kann ich etwas für dich tun? Was ist das für eine Krankheit und wie kann/soll ich mit dir umgehen?“ Gut gemeinte Ratschläge wie „Reiß dich mal zusammen!“ oder „Bald ist ja wieder Sommer.“ sind absolut kontraproduktiv, die will kein depressiver Mensch hören.
Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
In erster Linie waren das meine Mitpatienten in den verschiedenen Therapien. Zu erleben, dass ich mit dieser Erkrankung nicht alleine war, das hat mir geholfen, die Krankheit zu akzeptieren. Des Weiteren die Erfahrungen in den Therapien, die mir gezeigt haben, dass sich hinter der Erkrankung immer noch meine Persönlichkeit befindet.
Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?
Das kommt immer auf die Krisensituationen an. Für Angstsituationen habe ich meine Skills dabei. Das ist ein Konzept, das ursprünglich bei Borderline-Patienten zur Beruhigung der Emotionen angewendet wird, aber auch bei anderen psychischen Erkrankungen hilfreich sein kann. Bei mir bestehen die Skills aus Pfefferminzdrops, einem Stressball und einer Achtsamkeitsübung.
Für die Situationen, in denen die Depression die Oberhand gewinnt, ist mein erster Schritt Akzeptanz und innere Bereitschaft. Was kann ich jetzt tun? Was ist jetzt das Richtige für mich? Außerdem nutze ich gerne kleine Kärtchen mit Affirmationen. Meine liebste Affirmation ist: „Sei kein Opfer. Sei ein Leuchtturm!“
Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Ihr habt eine Krankheit und diese Krankheit kann behandelt und therapiert werden. Von dieser Krankheit betroffen zu sein, ist kein Zeichen von Schwäche. Nichts, weshalb ihr euch verurteilen müsstet, auch wenn manch Anderer euch das weismachen will. Und ihr seid nicht allein. Sucht euch Hilfe, fangt eine Therapie an. Für mich war der Schritt in eine Therapie eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe.
Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?
Wie schon erwähnt, sind schlaue Sprüche absolut kontraproduktiv und schädigen das ohnehin schon arg gebeutelte Selbstvertrauen der Betroffenen. Lasst es bleiben. Wendet euch stattdessen dem Betroffenen mit echter Aufmerksamkeit und Fürsorge zu, bietet eine Umarmung an und fragt, ob und was ihr für ihn tun könnt. Und informiert euch über die Krankheit! Es gibt genug Anlaufstellen, um verlässliche Informationen zu bekommen. Und auch für Angehörige gilt: Es ist weder peinlich, noch ein Zeichen von Schwäche, wenn ihr euch mit dem Thema auseinandersetzt und so einem Betroffenem sinnvoll beisteht.
Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?
Ich habe einen sehr freundlichen Charakter und begegne anderen Menschen und deren Meinung mit viel Toleranz. Außerdem bin ich ganz tief in meinem Herzen ein durchweg positiver Mensch, der an das Gute glaubt, an das Happy End. Und das hat mich bislang davor bewahrt, von meiner Depression aufgefressen zu werden.