Essstörung & Depression: Verstehen statt Verurteilen.
Betroffene: Julia Lebenswelt
Jahrgang: 1996
Diagnosen: Magersucht, Binge-Eating-Disorder, Depression, sozial phobische Tendenzen
Therapien: Verhaltenstherapien, abgebrochene Hypnotherapie, psychosomatischer Klinikaufenthalt, Psychiatrieaufenthalte
Ressourcen: Hunde, Hunde, Hunde!; Familie; Tiere; Zeichnen; Schreiben; Projekte, für die ich brenne.
Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?
Mit elf Jahren war ich das erste Mal wegen Essensverweigerung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, wo ich die Diagnose Magersucht erhielt. Im Laufe meiner Jugend haben sich noch depressive Phasen dazugesellt. Mit 20 erhielt ich im Rahmen einer Verhaltenstherapie die Diagnose Binge-Eating-Störung.
Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?
Schon in den schwersten Zeiten meiner Magersucht habe ich mir folgendes versprochen: „Wenn ich einmal aus dieser Scheiß-Krankheit rauskomme, dann will ich anderen helfen und ihnen zeigen, dass ein Leben „danach“ möglich ist. Gleichzeitig ist das Ganze eine Konfrontationstherapie für alle meine Ängste ;).
Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?
Ganz unterschiedlich. Während meine Mutter und meine Schwester so verständnisvoll wie möglich reagiert haben und mich stark unterstützen, wissen viele aus meinem Bekanntenkreis noch heute wenig bis gar nichts von meinen Erkrankungen. Nicht, weil ich meine Krankheit verstecken will, sondern weil ich das Gefühl habe, wenn ich meinen Bekannten davon berichte, dann rede ich gegen eine Wand. Das soll kein Vorwurf sein. Für viele ist eine Essstörung etwas so Surreales, dass sie dafür wenig Verständnis haben. Dann höre ich Sätze, wie: „Warum isst du nicht einfach normal?“. Allein der Versuch, empathisch auf mich zu reagieren, würde schon ausreichen, um eine positive Gesprächsgrundlage zu schaffen.
Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
Der Austausch mit anderen (Ex-)Betroffenen hilft. Das Gefühl, mit meinen Gedanken nicht allein zu sein, ist so viel wert. Außerdem hilft die Erkenntnis, dass jede Erkrankung positive Seiten mit sich bringt.
Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?
Meine Mutter ist immer mein Krisentelefon und hilft mir am allermeisten, wenn sie mir einfach nur zuhört. Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber ein kleines Nickerchen hat mich auch schon oft runtergebracht. Danach sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.
Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Mach das, was sich für dich richtig anfühlt! Es gibt nicht den EINEN Weg. Was für den Einen funktioniert, klappt bei einem Anderen gar nicht. Das ist nicht schlimm. Die Suche nach dem richtigen Weg kann anstrengend sein, aber es lohnt sich sowas von! Ach ja, und Geduld ist auch immer ein hilfreicher Freund.
Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?
Wie schon gesagt: Zuhören und versuchen, den Betroffenen zu verstehen. Dabei ist es aber auch wichtig, dass der Angehörige mitteilt, wenn er etwas überhaupt nicht nachvollziehen kann. Aussagen wie: „Ja, manchmal hab ich auch überhaupt keinen Appetit!“ helfen überhaupt nicht, damit fühlen wir uns mit unserem Problem nicht ernst genommen. Für Angehörige ist Abgrenzung meiner Meinung nach das Wichtigste: Du bist weder schuld, noch rund um die Uhr verantwortlich für den Erkrankten!
Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?
Ich schätze an mir sehr, dass ich niemanden aufgrund seines Verhaltens verurteile. Niemand handelt einfach so ohne Grund. Es gibt immer Gründe, auch wenn wir sie nicht kennen oder verstehen. Außerdem bin ich ein sehr ironischer Mensch, da entstehen zwar hin und wieder Missverständnisse, aber mit Ironie und Humor ist das Leben wesentlich erträglicher.
Julia bloggt auf: Lebenswelt und hat einen YouTube-Channel.