Komplexe posttraumatische Belastungsstörung: Genieße den Augenblick, denn er ist dein Leben!

Betroffener: Peter Grass

Jahrgang: 1966

Diagnose: Komplexe posttraumatische Belastungsstörung

Therapien: Ambulante und stationäre Klinikaufenthalte, mein letzter Therapieschritt: Ich veröffentlichte meine Geschichte im Buch  „Ohne Sprungtuch – Ich bat um Hilfe und landete ganz unten“

Ressourcen: Saxophon, Wandern, Puzzeln, Lesen, E-Bike

 

Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren?

2012 folgte der erste körperliche Zusammenbruch. Von Weinkrämpfen geplagt schleppte ich mich zur Arbeit. Nach einem Gespräch mit meinem Chef knallte er mir eine Packung Medikamente vor die Nase und Antwortete: «Lies die Packungsbeilage, nimm eine Tablette und arbeite weiter». Dies sind die ersten Erinnerungen an meine Lebenskrise. Zu diesem Zeitpunkt dachte natürlich auch ich: Du brauchst keine professionelle Hilfe. Was sich als fatale Fehleinschätzung erweisen sollte. Im September 2018 folgte der finale Zusammenbruch während der Arbeit! Ich sass von Weinkrämpfen geschüttelt in einer Ecke. Ein sicher geglaubtes Kartenhaus brach endgültig in sich zusammen. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, es war erst der Anfangeiner schier endlosen Talfahrt. Ich befand mich förmlich im freien Fall und landete unfreiwillig im Behördensumpf. Der Wegzurück war unfassbar steinig und zog sich enorm in die Länge, aber es hat sich gelohnt. Heute kann ich sagen: «Ich bin stärker als je zuvor.»

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Da ich auch heute davon überzeugt bin, dass ich bei den Ämtern, besonders bei meinem Gutachter nie eine faire Chance erhalten habe, entschloss ich mich meine Geschichte zu veröffentlichen. Ich sagte zu mir: Peter steh auf, sag was, es ist Zeit, etwas zu ändern. Meine Geschichte soll betroffenen Menschen, die in einer gleichen oder ähnlichen Lebenslage sind Mut machen. Mit meiner Autobiografie «Ohne Sprungtuch – Ich bat um Hilfe und landete ganz unten» erzähle ich von meiner Lebenskrise und wie ich durch die Lücken der sozialen Institutionen meines Landes gefallen bin. Präzise, ohne Selbstmitleid und deshalb umso eindrucksvoller erzähle ich davon, wie ein Mensch unverschuldet in seelische und existenzielle Not geraten kann – und von den Schweizer Behörden im Stich gelassen wird.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft} in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?

Ich habe das Glück, dass meine Lebenspartnerin, wir sind seit über achtzehn Jahren ein Paar, die ganze Zeit zu 100% zu mir stand. Sie war für mich die wichtigste Stütze. Ohne sie hätte ich den Weg zurück in die Gesellschaft nicht geschafft.

 

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Ich habe die Diagnose angenommen. Mein Hilferuf war für mich keine Schwäche, sondern ein starkes Zeichen an die Aussenwelt. Heute frage ich mich selber woher ich diese Kraft nahm, aber ich denke, es war der pure Lebenswille, der mich Schritt für Schritt in die richtige Richtung brachte.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Ich habe mir diverse Skills angeeignet. Am besten helfen mir die Natur, Saxophon spielen, Atemübungen. So komme ich am schnellsten zurück ins Hier & Jetzt.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Wartet nicht, sondern handelt – holt frühzeitig Hilfe. Sollte die behandelnde Fachperson für euch nicht passen, habt den Mut und sprecht es aus, dass ihr euch in derTherapiestunde nicht gut aufgehoben fühlt. Jede*r Patient*in hat das Recht, einen Therapiewechsel vorzunehmen.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Lasst eure liebsten nicht im Stich – gerade jetzt brauchen sie ein stabiles Umfeld. Es ist aber auch wichtig, dass die Angehörigen in dieser schwierigen Zeit nicht in Vergessenheit geraten. Daher mein Rat: Holt vielleicht selber bei einer Fachperson Hilfe. Es ist wichtig, dass ihr diese Lasten nicht alleine mit euch rumschleppt. Ebenfalls empfehle ich, immer wieder Freiräume zu schaffen.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin ein Mensch der sich zuerst um die Mitmenschen sorgt. In den Therapiestunden habe ich jedoch gelernt, dass ich auch ab und an den Peter in den Vordergrund stellen darf.

 

Peter hat eine eigene Homepage und ist auf Instagram.