Depression & Angststörung: Bei allem was ich tue, vergesse ich die Liebe zu den Menschen nicht und höre auf mein Herz.

Betroffener: Werner Niebel
Jahrgang: 1961
Diagnosen: Rezidivierende Depression; Angst- und Anpassungsstörung
Therapien: Klinikaufenthalte (stationär), Tagesklinik, Gesprächstherapie, Verhaltenstherapie
Ressourcen: Meine Frau, Musik, Konzerte, Wandern, Fahrrad fahren, Selbsthilfegruppe, Gespräche

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Im Jahr 2006 erkrankte ich an Krebs und mit der Diagnose begann auch mein Weg in eine Depression. Die Hoffnung, wieder ein lebenswertes Leben zu erlangen, schwand täglich. Selbsttötungsgedanken und Todessehnsucht begleiteten mich zu jeder Stunde. Es dauerte lange, bis ich dem Sog aus Angst, Trauer und Einsamkeit den Rücken kehrte. Dabei geholfen haben mir Wegbegleiter/innen, professionelle Unterstützung und die Selbsthilfegruppe (SHG) Angst-Panik-Depression. Durch „Hilfe zur Selbsthilfe“ fasste ich wieder Mut und Zuversicht, um neue Wege zu gehen.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

In den Jahren 2007 – ca. 2012 fühlte ich mich in etlichen Situationen unverstanden, ausgegrenzt, lächerlich gemacht und nicht ernst genommen. Über psychische Erkrankungen wurde nicht gesprochen. Nicht in der Familie. Nicht am Arbeitsplatz. Und in der Allgemeinheit auch nicht. Ich schämte mich, suchte die Schuld für alles bei mir und verlor allen Lebensmut. Viele Menschen haben meine persönlichen Grenzen missachtet und den Garten meiner Seele zertrampelt und verwüstet.

Trotz meiner seelischen Erkrankung kann ich leben, lieben, einen Beruf ausüben und am öffentlichen Leben teilnehmen.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Meine Familie war mit meiner Veränderung durch die Depression überfordert. Am Arbeitsplatz herrschte Unverständnis. Ich wurde beleidigt und über die Erkrankung wurden Witze gemacht. Freunde/Bekannte zogen sich teilweise zurück. Erst als ich öffentlich begann, über meine Erkrankung zu sprechen, wurde mir zugehört. Ich bemerkte, dass ich nicht alleine war, denn ich lernte viele Menschen mit psychischen Problemen kennen.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Darüber zu sprechen und zu schreiben hat mir sehr geholfen. Außerdem war es wichtig, zu erkennen, dass die Depression zu mir gehört und ich mit ihr leben kann, mal besser, mal schlechter – aber es geht immer weiter. Und Menschen, die mir ihre eigenen Erlebnisse anvertraut haben, haben mir bei der Akzeptanz der Krankheit ebenfalls geholfen.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Das Schreiben meiner Kolumne. Gespräche. Laute Musik hören. Wandern. Fahrrad fahren. Chinesische Massage. Schwimmen gehen.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Dass es sich lohnt, nicht aufzugeben und sich mit seelischen Erkrankungen im Allgemeinen oder der eigenen auseinanderzusetzen.

Ein lebenswertes Leben ist auch mit einer psychischen Erkrankung möglich.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Angehörige können Co-Therapeuten sein, aber auch selbst krank werden. Angehörige brauchen Zeit für sich. Angehörige sollten die Betroffenen spüren lassen, dass sie nicht alleine sind, sie in den Arm nehmen, wenn Nähe gebraucht wird und sie alleine lassen, wenn Abstand gewünscht ist.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Meine Offenheit schafft Vertrauen. Durch Empathie kann ich Menschen begleiten, trösten und unterstützen. Ich gehe taktvoll mit Menschen um. Mit meinem Tun und Wirken mache ich Betroffenen und Angehörigen Mut.

Werner ist Gruppensprecher der Selbsthilfegruppe Angst Panik Depression und
EX-IN Genesungsbegleiter und Kolumnist. Mehr über Werners Weg auf Facebook!
Foto: Thomas Kuhn