Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung: Das Leben ist in aller Konsequenz. Wir können da nur mitmachen.

Betroffene: Kaddi
Jahrgang: 1994
Diagnosen: Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung, PTBS
Therapien: Stationäre DBT-Therapien
Ressourcen: Schreiben, Familie, Freunde, Musik und Malerei: Kreativzeug!

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Ich habe wirklich häufiger mal gedacht, mit mir stimmt was nicht und mich aufgrund familiärer Hintergründe immer mal wieder mit der Thematik auseinandergesetzt. Die Diagnose habe ich beiläufig in der Klinik aufgetischt bekommen, in die ich mich mit 18 Jahren selbst einweisen ließ. Ich hatte damals in einer neuen Stadt ein Freiwilliges Soziales Jahr begonnen. Und nach der Trennung von meinem Freund und dem Auszug von zu Hause fühlte ich mich den Anforderungen plötzlich nicht mehr gewachsen und hatte heftige Panikattacken, die ich so erstmal gar nicht benennen konnte.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Ich bin krank. Das ist so. Eine gute Freundin sagt immer wieder zu mir „Du hast Borderline besiegt!“, aber, obwohl ich weiß, wie wertschätzend sie das sagt, weiß ich auch, so ganz stimmt das eben nicht. Die Erkrankung ist noch da, die Gefühle und Glaubenssätze begleiten mich in meinem Alltag und hindern mich manchmal noch daran, das zu tun, was ich möchte. Ich möchte nicht die Wahl haben zwischen „gesund sein“ und „lebensunfähig sein“. Ich möchte sagen können: „Ich bin krank.“, möchte deshalb aber nicht meine Fähigkeiten aberkannt bekommen.

Ich hoffe, dass die Menschen anfangen, mehr als schwarz und weiß in einer Borderline-Persönlichkeit zu sehen: Also mische ich meine Farben mit in die Palette. Ich zeige Gesicht.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Das war sehr durchwachsen. Meine Familie war sehr verunsichert! Mein Vater zum Beispiel muss heute noch oft ein Augenbrauenzucken unterdrücken, wenn das Thema auf den Tisch kommt, obwohl er es nach sehr vielen Gesprächen ziemlich gut versteht. In der Ausbildung haben sie mir damals „Gute Besserung“-Karten geschickt. Die Lehrerin fragte andauernd, ob ich jetzt wieder gesund sei. Das empfand ich als sehr unangebracht, wusste aber nicht, wie ich ihr das sagen sollte. Ich würde mir wünschen, dass mich mein Umfeld fragt, wenn es Dinge nicht versteht. Anstatt fleißig zu nicken, aus Angst vor dem nächsten Fettnäpfchen, könnte man die Dinge auch einfach ansprechen: Das baut Brücken, statt Kluften zu reißen. Vorurteile ließen sich aufklären: „Nein, nicht alle Borderliner „ritzen“ sich. Und nicht alle tun es für immer. Du musst meinen Arm nicht absuchen, sobald ich dir von der Erkrankung erzähle.“

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Ich habe viel über die Diagnose gelesen und mich zuerst heftig darin verloren. Plötzlich „hatte“ ich nicht Borderline, sondern ich „war“ Borderliner. Es gibt da ein tolles Forum (Borderline-Netzwerk). Dort habe ich mich viel mitgeteilt und wurde geerdet.

Inzwischen verstehe ich die Diagnose eher als „Wegweiser“, um zu verstehen, was in mir vorgeht und mir Zusammenhänge zu erklären, die von starken Gefühlen überschwemmt werden.

Die größte Hilfe waren Freunde und Familie, die beständig an meiner Seite standen (und stehen) und mich immer wieder daran erinnern, wie weit ich schon gekommen bin. Seit ich Mutter bin, treibt mich auch der Wille an, meinen Sohn davor zu bewahren, früh Verantwortung übernehmen zu müssen (oder zu denken, dass er es muss).

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Ich schreibe, ich zeichne, ich fühle laut! Ich nutze „emotionale Energie“, um etwas zu erschaffen und Abstand zu der Krise, der „realen Bedrohung“, zu schaffen. Das hilft mir, mich zu sammeln und die personellen Ressourcen zu nutzen: Freunde, Familie, Therapienetzwerk. Meine größte Schwäche ist immer wieder, Hilfe nicht annehmen zu wollen: Durch die Distanz, die ich aufbauen kann, wenn ich schreibe oder male (oder tanze oder singe oder …), fällt es mir leichter, mich jemandem mitzuteilen.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Du bist nicht allein. Das fühlt sich manchmal so an, aber du bist es nicht. Du bist wertvoll, wie du bist. Mit allen Ecken und Kanten! Auch wenn die Worte dich nicht so richtig packen, nimm jede Hilfe an, die du kriegen kannst, denn du hast sie verdammt nochmal verdient.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Wenn du schon so Einiges über psychische Erkrankungen weißt, dann halte damit nicht hinter dem Berg. In jeder Diskussion, bei jedem beiläufigen Kommentar, sei der Besserwisser und Erklärbär. Wissen schafft Brücken und Brücken sind wichtig, sonst werden wir alle nass. Und nicht alle können schwimmen. Mir tut es jedes Mal so gut zu merken, dass ich kein Außerirdischer bin und dass das Thema durchaus schon mal irgendwie präsent war für mein Umfeld. Und im Umgang mit Betroffenen? Da sein, aber nicht verausgaben. Das Bild vom Sumpf: Steckt jemand drin, kannst du ihm nur von draußen helfen. Lässt du dich mit hineinziehen, seid ihr beide unglücklich. Strukturen, Grenzen, Regeln. „Stop“ ist ein tolles Wort und kann persönliche Grenzen toll festsetzen! „Stop, ich kann damit nicht umgehen / möchte später darüber reden / benötige eine Auszeit.“

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich finde Lösungen und habe Pläne. Ich bin die mit den Plänen A, B, C bis Z. Ein richtiges Steh-Auf-Männchen! Genauso kann ich sie alle umwerfen und Kompromisse machen. Mit mir, mit der Familie, mit der Welt. Ich bin mutig und manchmal wirkt das nicht so klug – aber ein kluger Mensch hat mir mal gesagt, die meisten großen Entscheidungen sind ein bisschen von beidem. Am meisten an mir selbst schätze ich mein Feingefühl. Ich sehe, höre, fühle, wenn etwas in der Luft liegt und will (muss!) das dann auch klären.

Lernt Kaddi näher kennen auf ihrem Blog: Wahnsinn und Wir.