Ein Märchen vom Mut und von der Möglichkeit

Ein Gleichnis.

 

Einst lebte ein König, der gütig war und fromm. Doch Schwermut war sein Mantel, gefangen in sich selbst – und keine Maus sah seine Qualen. Sein Leiden und die Leere trug er nie nach außen. Nur selten ging er zu Hofe, ward gesehen von seinem Volk, ward nie zugegen an Ritterspielen oder Festen, wo man doch um seine Gunst nur kämpfte. Er verblieb in Leere. Kälte umgab ihn, und Lethe floss in seinem Denken. Selbst sein Antlitz vergaß man, sobald man ihm den Rücken kehrte. Aschfahl war seine Haut, schütter fiel sein Haar, und trübe Augen sahen nichts: wie ein Moor, über das kalt ein dunkler Nebel zieht.

Da betrug es sich eines Tages, dass ein Schelm die Burg passierte. Und bat um Einlass. Man ließ ihn durch die Tore ein – vergnügt bei seinem Anblick. Bunt war sein Gewand wie ein Papagei, auf Zehenspitzen tanzte er durch die Menge, und zog Grimassen. Die Frauen wie die Kinder brachte er zum Lachen, und die Männer und Burschen fielen ein, alsbald er Purzelbäume auf dem Rücken seines Rosses schlug und herunterfiel und zappelte, dass die bunten Federn in seinem Hut zu allen Seiten fielen.

Er rief: „Zum König führt mich! Man sagt in aller Ferne, in aller Herren Länder, gut sei er und gnädig. Doch sein Lachen habe er verloren. So wie auch eure Burg von einem Ascheregen zeugt.“

Man ließ ihn gewähren, und führte ihn zum König. War er doch ein Schelm, ein Narr – und dem König gar ein Zeitvertreib?

Seinen Hut mit Federn ziehend, verneigte sich der prächtig geschmückte Narr, purpurfarben sein Gewand, und Strümpfe gelb und Stiefel von smaragdenem Grün. Der König sprach: „Nun dass Ihr hier seid, zu Tisch! Ich will euch kennenlernen. Bleibt als mein Gast!“

Errötend vor Freude, folgte der Narr dem König, auf beiden Händen gehend, die Füße in der Luft, und sang dabei kopfüber froh von Lust und von der Liebe und von Heiterkeit. Gesängen gleich, die des Königs Ohren nie vernommen, als hörte er ein erstes Mal Musik.

Und als ob Sonnenstrahlen zum allerersten Mal die Fenster durchdrangen, frug man sich im Saal, wie das nur möglich sei. Und bei Hofe frug man sich, wer so schallend lachte oder kichernd sich auf die Schenkel schlug. Noch bis zum Morgengrauen saßen sie so beide da; sie lachten und sie weinten, sie stritten und sie einten sich. Man konnte es kaum fassen. Man lauschte an allen Türen, und war sich einig: der König hatte sein Lachen wiedergefunden – und Freude verbreitete sich in aller Windeseile durch die Gassen und die Häuser.

Und so betrug es sich: Der Narr blieb an des Königs Seite.

Der König bald rief zum Feste: lud allen Adel und die Bettler ein, die Ritter und das Volk, und rief zu den Geladenen: „Fortan sollen wir tanzen, um unsere Mitte, und ruh‘n, wenn Stürme brausen. Die Hand mögen wir uns reichen. Ein Narr soll weinen, ein Bettler reich sein können. Und keiner ist des anderen Untertan. Wir sollen frei, gütig und mutig sein!“

In neuem Lichte erschien der Gute, so wie Glanz bald Burg und Türme zierte, und in allen Zimmern, Gassen, Herzen kehrte Freude, kehrte Wärme ein.

Und sie tanzten, Narr und König, um eine Mitte ihrer selbst, mit Freude und mit Lachen; die selbst ein Blinder sah, und selbst der Taube hörte – die selbst die Toten spürten.

Bis sie zum letzten Tage ihres Lebens, im Reichtum ihrer selbst, in Gänze ruhend um ihre Mitte, in die unendliche Nacht gingen. Und Sterne hinterließen, die fortan gleißend hell vom Himmel grüßten.

 

Text: Tina Meffert

Foto: pexels