Mutmachleute Marcel Stange

Depressionen & soziale Phobie: Jede Erfahrung im Leben hat einen Sinn und gibt einem die Gelegenheit, sich zu entwickeln.

Betroffener: Marcel Stange
Jahrgang: 1987
Diagnose: Depressionen, soziale Phobie
Therapie: Verhaltenstherapie, Psychiatrische Behandlung mit Antidepressiva
Ressourcen: Freunde, Familie, Bloggen, Literatur, Soziale Netzwerke, Yoga, Kraftsport

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Ich hatte im Verlaufe meines Lebens mehrere Psychotherapien. Ich kann nicht mehr sagen, wann bei mir die soziale Phobie zum ersten Mal diagnostiziert wurde. Sie begleitet mich seit meiner Kindheit. Meine erste Therapie hatte ich, als ich zwischen ca. 10 – 12 Jahren alt war. Meine Depressionen wurden 2010 diagnostiziert.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Ich gehe mit meinen (inzwischen) Problemen sehr offen um. Die Menschen, mit denen ich täglich zu tun habe, wissen von meinen Problemen. Ich habe vor Kurzem selbst angefangen, über das Thema Soziale Phobie zu bloggen, da ich die Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisieren möchte. Ich habe mich über weite Teile meines Lebens selbst verleugnet und meine Probleme immer versteckt. Über die Jahre habe ich gelernt, offen damit umzugehen.

Ich möchte anderen Menschen zeigen, dass man sich für seine Probleme nicht schämen muss und anderen Betroffenen helfen, indem ich über darüber schreibe, wie ich mit meinen Problemen fertig werde.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Mein Umfeld geht zum größten Teil verständnisvoll mit meinen Problemen um. Ich denke, dass meine soziale Phobie in meinem alltäglichen Umfeld nicht mehr so stark auffällt, da ich viel an mir selbst gearbeitet habe. Meine Depressionen sind zum Glück schon seit einigen Jahren nicht mehr aufgetreten. Ich habe gelegentlich noch kurze depressive Phasen, aber nur noch sehr selten. Zum Zeitpunkt, als meine Depressionen akut waren, war es teilweise schwierig für mein Umfeld. Meine Familie hat mich immer so gut wie möglich zu unterstützt. Depressionen sind für viele Menschen leider immer noch etwas völlig Fremdes. Es war für Teile meines Umfeldes schwer zu verstehen, wie es mir ging. Ich hätte mir bei manchen Leuten gewünscht, dass sie sich mehr mit dem Thema auseinandergesetzt hätten. In Zeiten des Internets ist es nicht schwer, gezielt Themen zu recherchieren.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

In meiner depressiven Phase war ich in einer Psychotherapie. Diese hatte ich vorher bereits wegen meiner sozialen Phobie begonnen. Über die Therapie konnte ich lernen, dass Depressionen zur heutigen Zeit nichts Ungewöhnliches sind.

Die Konfrontation mit den Ursachen der Depressionen war sehr wichtig. Ich musste mein Verhalten ändern, damit ich die Depressionen hinter mir lassen kann. Genauso ist es mit der sozialen Phobie. In beiden Fällen habe ich gelernt, dass ich nur durch eigene Kraft etwas an meiner Situation ändern kann.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Meine Familie und Freunde sind in Krisensituationen immer für mich da. Ich kann jederzeit mit meinen Eltern reden, wenn ich Probleme habe. Da meine Freunde von meinen Problemen wissen, kann ich offen über alles sprechen. Ich befinde mich immer noch in einer Psychotherapie, die mir noch dabei hilft, mit meiner sozialen Phobie umzugehen. Ansonsten lese ich viele Bücher und von den Erfahrungen anderer Betroffener, z.B. in sozialen Netzwerken. Ich mache mittlerweile viel Sport, u.a. Krafttraining, Yoga und Walken. Beim Walken kann ich sehr gut über Dinge nachdenken, die mich beschäftigen und diese in Ruhe verarbeiten. Beim Krafttraining und beim Yoga kann ich Stress und überschüssige Energie abbauen.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Als meine Depressionen am stärksten waren, war ich absolut am Ende. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Zusätzlich stand ich kurz vor der Abschlussprüfung meiner Ausbildung, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt nicht mal mit mir selbst klargekommen bin. Trotzdem habe ich es geschafft, die Depressionen hinter mir zu lassen und meine Ausbildung erfolgreich zu beenden.

Ich habe mittlerweile gelernt, dass alles im Leben irgendeinen Sinn hat und man nur daran wachsen kann. Ich kann nur jedem empfehlen, dass man sich soviel Hilfe wie möglich holt, sei es nun über Therapien, Familie, Freunde oder sonstiges was einem gerade gut tut.

Gerade, wenn man mit Ängsten und Depressionen zu kämpfen hat, ist das Wichtigste, dran zu bleiben. Diese Probleme verschwinden nicht von allein, sondern nur indem man an sich selbst arbeitet. Man sollte sich von niemandem hetzen lassen und die Zeit nehmen, die man braucht. Ich habe hart an mir selbst gearbeitet – und mir geht es mittlerweile viel besser als früher. Ich habe gelernt, mich selbst so akzeptieren wie ich bin und halte es für sehr wichtig, an seinem Selbstwert zu arbeiten.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir
(einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Depressionen sind für Außenstehende sehr schwer zu verstehen. Meiner Meinung nach ist es das Wichtigste, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und Verständnis zu entwickeln. Jemand, der depressiv ist, weiß oft selbst nicht warum er in seiner aktuelle Stimmung ist. Sätze wie „Sieh doch nicht alles so negativ“ oder „Reiß dich doch mal zusammen“ möchte niemand hören, der depressiv ist. Man sollte auf jeden Fall Geduld haben, versuchen für die Person da zu sein und ihr helfen, wenn sie um Hilfe bittet. Ein/e Angehörige/r sollte sich in ihrem/seinem Alltag nicht allzu sehr einschränken. Für mich war ein normaler Alltag wichtig. Mir hat eine Psychotherapie sehr geholfen. Man muss aber selbst dazu bereit sein. Da es schwer ist, einen Platz für eine Psychotherapie zu finden, sollte man Betroffenen Hilfe anbieten bei der Suche nach einem Therapieplatz, wenn sie bereit ist, eine Therapie zu beginnen.

Beim Umgang mit sozialer Phobie sollte man ebenfalls Verständnis für die Person zeigen. Wenn ich vor etwas Angst habe, mache ich mir meistens sehr viele unrealistische Gedanken über das, was passieren könnte. Es hilft mir selbst diese Ängste zu hinterfragen und als Angehöriger kann man helfen, indem man der Person beim Hinterfragen hilft, ohne sie zu sehr unter Druck zu setzen.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich halte für mich einen verständnisvollen, offenen und toleranten Menschen. Meine Probleme haben mir geholfen, mich persönlich weiterzuentwickeln, da ich dadurch gelernt habe, verständnisvoller mit anderen Menschen umzugehen. Ich schätze an mir am meisten, dass ich es immer wieder schaffe, meine Probleme aktiv anzugehen. Ich stelle mich mittlerweile meinen Ängsten und suche immer wieder Situationen auf, in denen ich mich damit konfrontieren muss. Ich versuche mich jeden Tag selbst ein wenig weiterzuentwickeln.

Marcel blogt auf AnxietMe über Ängste, Sexualität und Selbstfindung.