Bipolar Typ II, PTBS: Weil es mein Leben ist, das ich leben will.
Betroffener: Stefan Lange
Jahrgang: 1965
Diagnose: Bipolar Typ II, PTBS
Therapie: zu viele erfolglose
Ressourcen: Schreiben, Partner, Freunde, in der Natur sein
Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?
Ich habe nicht davon erfahren, sondern ich habe es gespürt, seit ich ein Bewusstsein habe und denken kann. Durch viele traumatische Erlebnisse in der Kindheit und Jugend wurde ich quasi „geformt“. Lange depressive Phasen wechselten sich mit extrem lebensbejahenden, aktiven Phasen ab. Ich kannte weder das Wort „manisch-depressiv“ noch sonst einen diagnostischen Begriff. Eine „richtige“ Diagnose habe ich erst seit vier Jahren.
Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?
Nun? Ich zeige schon seit sehr vielen Jahren mein Gesicht, viel länger schon, als das „Ereignis Robert Enke“ zurückliegt. Mein Leben lag damals nach einem gescheiterten Suizidversuch und anschließender, monatelanger schwerer depressiver Episode mit Medikamentenmissbrauch derart in Scherben, dass ich der eigenen Scham mit totaler Offensive entgegengetreten bin, so nach dem Motto: »Ist Dein Leben ruiniert, lebt sich´s völlig ungeniert« – bis heute die beste Entscheidung meines Lebens! Das Schreiben hat mich befreit und ich zeige Gesicht bei Lesungen, Vorträgen, mit meinem Buch »SUICIDE« und auch der YouTube-Serie »Komm, lieber Tod«, in der ich ohne Tabus über meinen Lebens- und Leidensweg berichte.
Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?
So richtig erfahren hat das Umfeld erst von dem ganzen Ausmaß mit der Veröffentlichung des Buches. Viele haben positiv reagiert und akzeptieren mich eben wie ich bin. Ich bestehe ja nicht nur aus Krankheit, sondern es gibt ja auch Positives (sonst hielte es ja keiner mit mir aus, nicht einmal ich selbst). Einzig meine Mutter drohte mir, wenn ich etwas aus der Familie erzähle, würde ich enterbt werden, was mich gleich doppelt motivierte, meine Geschichte zu erzählen.
Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
Zunächst Zwang, dann Erkenntnis. Der Psychologe, der mich zum Schreiben gebracht hat, sagte mir damals unmissverständlich, wie schlecht es um mich stehe und dass er mir kein weiteres halbes Jahr prophezeie: »Wenn Sie so weitermachen, sind Sie bald tot, wollen Sie das?« Nein, das wollte ich irgendwie doch nicht, und so reifte nach und nach die Erkenntnis, dass ich wirklich einen kräftigen Schaden habe.
Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?
Das Schreiben und das Darüber-reden. Schreiben und Reden bedeutet Fokussierung, eine Auseinandersetzung, und geben mir Halt und Struktur. Es stellt mich in eine Mitte, denn einerseits habe ich mit der Krankheit immer wieder zu kämpfen, andererseits ermutigen mich die zahlreichen positiven Rückmeldungen von Lesern und Zuschauern, meinen Weg weiterzugehen.
Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Ich höre zwar öfters, mein Mut und meine Offenheit seien vorbildlich – aber ich will kein Vorbild sein. Ich kann vielleicht zeigen und die Hoffnung vermitteln, dass ich trotz meiner Schwierigkeiten ein lebenswertes Leben führe. Und wenn ich das kann, können das andere auch. Ich habe das alles nur geschafft, weil ich darüber geredet und geschrieben habe und das bis heute tue.
Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir
(einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?
Angehörige erleben oft eine Ohnmacht, nicht helfen zu können. Statt diese Ohnmacht an den Betroffenen auszuleben (oftmals mit Druck!), sollten sich Angehörige unbedingt Rat und Unterstützung holen und für sich selbst sorgen. Es gibt zahlreiche Angebote.
Mir hilft das Umfeld mit einer gewissen Distanz zu den eigenen Emotionen, also eben nicht übertriebenes Mitleid oder auch den Tränenbecher zu reichen, sondern mit Geduld und Verständnis.
Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?
Der Charakter eines Menschen ist vielfältiger, als es ein paar Worte ausdrücken können. Als Manisch-Depressiver habe ich gute und schlechte Eigenschaften, wobei ich hoffe, mehr positive als negative zu haben. Ich schätze meine Ausdauer und Konsequenz und bin eigentlich eine (manchmal zu oft) treue Seele.
Stefan hat eine 60-teilige Serie „Komm lieber Tod“ auf YouTube und Blogt auf www.stefan-lange.ch.