Bipolare Störung & Borderline: Zusammen kann man es schaffen! Gib niemals auf!
Angehörige: Heike Zoll
Jahrgang: 1965
Angehörige von: Tochter mit Borderline, bipolare affektive Störung mit psychotischen Episoden
Hilfsangebote: persönliche Unterstützung für Betroffene und ihre Familien
Ressourcen: meine Familie, meine Hobbys Lesen, Serien schauen und einmal im Jahr zur Comic Con gehen
Wie hast du von der Störung deiner Angehörigen erfahren? Was war deine erste Reaktion?
Es handelt sich bei meinem Angehörigen um meine älteste von zwei Töchtern. Meine erste Reaktion auf ihre Diagnose war eigentlich unendliche Erleichterung. Endlich konnte ich mir so viele ihrer, bis dato unerklärlichen, Reaktionen und Handlungen erklären. Ich hatte eine Begründung und damit einen Feind, gegen den ich etwas unternehmen konnte. Für uns beide bedeutete die Diagnose nach monatelanger Entfremdung und dem Kampf mit den Symptomen endlich einen ersten gemeinsamen Schritt.
Wieso möchtest du anderen Angehörigen Mut machen?
Die ganze Zeit über, von Beginn ihrer Auffälligkeiten bis heute, stand für mich immer an erster Stelle, dass ich meine Tochter über alles liebe und immer um sie kämpfen werde. Natürlich wurde ich verletzt und habe gelitten durch ihr Verhalten, ich war wütend auf sie, ich habe sie nicht verstanden, aber ich habe sie immer geliebt und immer um sie gekämpft. Durch ihre Therapien und ihre unglaubliche Kraft ist sie heute soweit, dass sie weiß, dass ich sie liebe. Wir haben ein sehr enges Verhältnis, ich genieße das unglaublich. Jetzt kann ich ihr wirklich helfen und bekomme so viel zurück.
Das wünsche ich allen Angehörigen. Dieses Gefühl, dass unsere Familie letztendlich stärker ist als diese Krankheit ist toll.
Ich bin schon immer ziemlich konfrontativ gewesen, ich halte nichts davon, Dinge unter den Teppich zu kehren. Es ist wichtig, offen mit jeder Art psychischer Krankheit um zu gehen. Nur so kann man sich Hilfe holen.
Außerdem möchte ich andere von meinen Erfahrungen profitieren lassen. Im Laufe der Erkrankung meiner Tochter habe ich mir viele Vorwürfe gefallen lassen müssen: „Was haben Sie falsch gemacht? Welches Trauma haben Sie in ihr ausgelöst? Sie wollen dieses Kind doch gar nicht! Überprüfen Sie mal Ihre Einstellung!“ usw. Als ob man sich nicht sowieso ständig selbst hinterfragt und überlegt, was man falsch gemacht hat. Diese Schuldgefühle helfen niemandem. Das zu wissen, diese Erkenntnis zu verinnerlichen, kostet unglaublich viel Kraft. Die habe ich inzwischen und möchte sie gern teilen.
Was hat dir am meisten geholfen, mit der Diagnose deiner Angehörigen umzugehen? Welche Hilfsangebote für Angehörige nutzt du?
Ich bin ein Familienmensch. So war es auch die Familie, die mir Kraft gab und gibt. Mein Mann war und ist mein Netz. Meine Mama ist immer ansprechbar für mich. Und meine jüngste Tochter ist unglaublich. Sie ist stark geworden durch das Aufwachsen mit ihrer Schwester. Ein tolles Mädchen, auf das ich genauso stolz bin wie auf meine Große.
Meine Familie ist meine Stütze. Das reicht mir völlig.
Woraus schöpfst du neue Kraft für dich persönlich, in Momenten, in denen du dich schwach fühlst?
Das mag sich jetzt vielleicht lächerlich anhören, aber ich schalte am besten ab, wenn ich mir Fantasieserien anschaue. Gut gegen Böse – das Gute gewinnt. Als Martinas Krankheit noch nicht definiert war, habe ich mir die Serie “Buffy-im Bann der Dämonen“ immer wieder angeschaut. Nachts, ganz alleine. Schlafen konnte ich sowieso kaum. Vor zwei Jahren kam dann einer der Hauptdarsteller zur Comic Con Berlin und ich konnte ihm persönlich sagen, wie dankbar ich für diese Ablenkung durch die Serie war. Er hat mir dann auf das Autogramm geschrieben, ich sei sein Held. Das sind meine Highlights, davon zehre ich, wenn es nur um mich geht.
Wie kannst du deiner Angehörigen in schwierigen Situationen und Krisen helfen?
Ich bin immer ansprechbar. 24 Stunden am Tag. Sie hat inzwischen (sie ist jetzt 22 Jahre alt) komplett ihr eigenes Leben, ist Mama eines wundervollen Jungen und hat einen wundervollen Ehemann. Auch für ihn bin ich immer ansprechbar. Als mein Enkel geboren wurde, bin ich zum Beispiel mit ins Krankenhaus gegangen. Sie wurde als Borderlinerin engmaschig überwacht, galt als Risikoschwangerschaft (auch wegen ihrer Medikamente). Also bin ich für fünf Tage mit ins Krankenhaus gezogen und habe mit aufgepasst (erstaunlich, wie viele „Experten“ für Borderline wir da getroffen haben). Ich war auch bei der Geburt meines Enkels dabei. Das hat uns natürlich noch enger zusammengeschweißt.
Außerdem haben wir zusammen ihre Halluzinationen aufgearbeitet. Alle Hallus haben Namen bekommen und ich verarbeite sie zu einer Geschichte.
Ich nehme immer ernst, was sie mir sagt, das rate ich auch anderen Angehörigen.
Was wünscht du dir von deiner Angehörigen?
So, wie sie mich zu Beginn ihrer Erkrankung abgelehnt und gehasst hat, versucht sie jetzt, mich zu beschützen. Ich kann sie aber natürlich ziemlich gut lesen und sehe es ihr an, wenn es ihr schlecht geht. Eigentlich haben wir vereinbart, dass sie es mir sagt, wenn sie rutscht. Damit kann ich umgehen, wir haben unsere eigenen Methoden, das zu managen. Manchmal tut sie das nicht, das zieht mich mehr runter, als wenn ich Bescheid weiß. Aber wir arbeiten daran.
Was schätzt du am meisten an deiner Angehörigen?
Ihre Liebe, ihre Kreativität, ihr Lachen, wie sie mit ihrem Sohn umgeht, all das und noch so viel mehr.