Einevongestern Mutmachleute

PTBS, Dysthymie, Borderline: Mein Leben ist im Wesentlichen Puzzlearbeit.

Betroffene: Einevongestern
Jahrgang: 1989
Diagnose: DESNOS/komplexe PTBS, spezifische Phobien, Dysthymie, Somatisierungsstörung, emotional-instabile Persönlichkeitsstörung
Therapie: Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Therapie (ambulant und stationär)
Ressourcen: Humor, Literatur, Wissen

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Ich habe mit 9 Jahren zum ersten Mal eine Therapiepraxis von innen gesehen und geahnt, dass etwas mit mir nicht stimmen könnte. Begriffen habe ich das allerdings erst, als ich etwa 12/13 war und die Probleme eine andere Qualität angenommen haben (Suizidgedanken, Selbstverletzung, mittelschwere Depression). Mit 15 habe ich dann, nach mehreren Besuchen bei Beratungsstellen für Jugendliche, eine Therapie begonnen und zum ersten Mal Diagnosen erhalten.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Weil ich der Auffassung bin, dass nicht genug über psychische Erkrankungen gesprochen werden kann. Es gibt noch immer zu viele Menschen, die sich schämen, dass sie betroffen sind. Die sich nicht vorstellen können, sich Hilfe zu suchen. Die glauben, dass sie allein mit ihren Gefühlen sind. So lange das so ist, wird es wichtig sein, diese Menschen zu ermutigen. Es wird mehr über Depressionen gesprochen und über Ängste in den vergangenen Jahren – das ist großartig! Worüber man hingegen seltener liest, sind (komplexe) Traumafolgestörungen. Und das, obwohl es viele Menschen betrifft. Es gibt viele, die in ihrer Kindheit oder im späteren Leben massive Gewalt erlebt haben und darunter leiden. Von ihnen hört man zu wenig.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Die meisten wissen von mir, dass ich phobisch bin. Und die überwiegende Mehrheit geht damit gut und verständnisvoll um bzw. thematisiert es nicht weiter, weil ich das auch nicht so besonders häufig tue. Von den anderen Diagnosen wissen viele nichts, weil sie mir nicht so nahestehen, dass ich das mit ihnen teilen würde. Was ich mir aber immer wünsche: Die Fähigkeit, zuzuhören und zunächst mal anzunehmen, wie die Dinge für mich sind. Ohne ungebetene Ratschläge und vor allem ohne Relativierung. Das passiert ja immer wieder. Dass Betroffenen gesagt wird, dass sie sich nicht so haben sollten, anderen ginge es viel schlimmer und die hätten es auch geschafft usw. Ich finde, Bewertung verbietet sich immer, wenn jemand von Leid und Not berichtet.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Da ich mein Leben nicht anders kenne, habe ich tatsächlich weniger Schwierigkeiten, die Krankheit anzuerkennen. Stattdessen habe ich Schwierigkeiten, zu akzeptieren, was dazu geführt hat. Ein „normales“ Leben, aus dem ich durch die Krankheit gerissen worden wäre, hat nie existiert.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Ich stürze mich in Themen, die mich interessieren. Höre, was andere zu sagen haben. Nehme einen Beobachterposten ein. Ich lese.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Ihr seid nicht allein. Euer Empfinden ist nicht falsch. Es gibt Menschen, die euch verstehen. Ihr seid es wert, dass es euch besser geht. Ihr dürft um Hilfe bitten.

Ihr dürft scheitern. Ihr dürft euch um euch selbst kümmern. Und ihr dürft euch aus Beziehungen lösen, die schlecht und schmerzhaft für euch sind.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir
(einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Ich finde es wichtig, dass Angehörige Interesse zeigen. Dass sie nicht ihre Vorstellungen von einer Situation oder einem Gefühl als Maßstab anlegen. Dass sie sich mit den Themen auseinandersetzen, die für den Betroffenen/die Betroffene wichtig sind. Das ist für mich auch ein Zeichen von Wertschätzung. Niemand muss alles verstehen oder auch nur nachvollziehen können. Aber er muss bereit sein, sich dem anzunähern. Ich glaube, man braucht viel Geduld als Angehöriger. Man muss sich davon verabschieden, dass Dinge schnell wieder erledigt sind und bald alles besser wird. Um dem Ernst einer solchen Lage gerecht zu werden, muss man versuchen, nicht nur mit Allgemeinplätzen zu jonglieren („Wird schon wieder“, „Schau nach vorn“, „Geh doch mal raus und unter Menschen“).
Angehörige sollten sich auch Verbündete suchen. Menschen, die in ähnlichen Situationen sind und ihre Hilflosigkeit nachvollziehen können. Sie sollten genauso wenig allein bleiben mit all den Problemen wie der/die Betroffene selbst.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Die Fähigkeit, über mich selbst zu lachen, selbst wenn alles dunkel ist.

 

Einevongestern schreibt auf ihrem Blog über das Thema.

Foto: unsplash.com