Dipl.-Psychologin Sonja Unger: Angststörungen – sind gut behandelbar!
Name: Sonja Unger
Jahrgang: 1979
Hilfsangebote: Verhaltenstherapie, Schematherapie, Pferdegestützte Psychotherapie
Wie definieren Sie als Expertin die Erkrankung? Welche Kriterien müssen für eine Diagnose vorliegen und was sind die typischen Symptome?
Im ICD-10 können wir nachlesen, dass eine Angststörung dann vorliegt, wenn wir folgende Symptome feststellen:
- Intensive Angst mit entsprechenden Körperempfindungen in an sich ungefährlichen Situationen: Herzklopfen; Schwitzen; Zittern; Mundtrockenheit; Erstickungsgefühl; Hyperventilation; Brustschmerz oder Beklemmungsgefühl; Übelkeit oder Magen-Darm-Beschwerden; Schwindel; Entfremdungsgefühle (Derealisation oder Depersonalisation); Angst, die Kontrolle zu verlieren oder verrückt zu werden; Angst, zu sterben; Hitzegefühle oder Kälteschauer; Taubheitsgefühle. Dabei müssen nicht alle Körperempfindungen gleichermaßen vorliegen.
- Vermeidungsverhalten: Situationen, die diese Angst auslösen oder in denen bereits einmal eine Angstattacke erlebt wurden, werden vermieden.
- Leidensdruck: Betroffene fühlen sich in ihrer Lebensgestaltung eingeschränkt und/oder leiden deutlich unter den Angstattacken.
Dabei werden folgende Störungen voneinander unterschieden:
Panikstörung: Betroffene erleben ausgeprägte und wiederkehrende Angstattacken, die sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken, nicht vorhersehbar sind und deshalb zur Angst vor der Angst führen können. Zwischen den Angstattacken werden symptomfreie Phasen erlebt.
Generalisierte Angststörung: Das wesentliche Symptom ist eine anhaltende Angst, die sich aber nicht auf bestimmte Situationen in der Umgebung beschränkt, sondern frei flottiert (schwankt). Dabei tritt die Angst an den meisten Tagen über eine Dauer von mindestens mehreren Wochen auf. Betroffene machen sich meist übertriebene Sorgen bezüglich alltäglicher Ereignisse und Probleme wie die Arbeitssituation, über mögliches zukünftiges Unglück und haben große Schwierigkeiten, diese Sorgen zu kontrollieren. Nachvollziehbarerweise führen diese Befürchtungen zu Konzentrationsschwierigkeiten, Nervosität und einer beständigen hohen Anspannung, meist begleitet durch Muskelverspannung, akute und chronische Schmerzen, körperliche Unruhe, Zittern und einer Unfähigkeit zu entspannen.
Agoraphobie: Die Hauptangst besteht darin, sich an Orten oder Situationen zu befinden, von denen aus man sich nicht an einen „sicheren“ Ort zurückziehen kann. Diese Angst tritt häufig entweder in Menschenmengen, an öffentlichen Orten, auf Reisen und bei größerer Entfernung vom Zuhause auf.
Soziale Phobie: Betroffene fürchten sich vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen. Die Angst vor Blamage oder negativer Bewertung führt zu intensiven Angstzuständen in sozialen Situationen.
Spezifische Phobie: Die Angst bezieht sich auf spezifische Objekte (z.B. Spinnen) oder Situationen (Höhe, Fliegen, Schlangen usw.).
Welche Vorurteile bzw. welche falschen Vorstellungen gibt es in der Gesellschaft zu psychischen Erkrankungen?
Die Vorstellung, dass Menschen mit einer Angststörung schwächer seien als andere, treffe ich besonders häufig bei den Klient*innen selbst an. Oft haben sie die Annahme über sich, sie wären einfach nicht stark. Bei Angehörigen erlebe ich immer wieder die Vorstellung, sie würden ihren Liebsten helfen, indem sie sie vor schwierigen Situationen bewahren würden. Sie fahren also z.B. allein zum Familienfest, damit die oder der Betroffene sich der starken Angst vor dem Verlassen des Hauses nicht aussetzen muss. Leider führt diese gut gemeinte Hilfe dazu, dass die Angststörung aufrechterhalten wird.
Was sind die klassischen bzw. hilfreichsten Therapiemöglichkeiten?
Die klassische und im Zusammenhang mit Angststörungen am besten untersuchte Psychotherapieform ist die Verhaltenstherapie. Sie arbeitet mit der Konfrontation mit angstauslösenden Situationen und der Vermittlung von Bewältigungsstrategien im Umgang mit der Angst. Auch angstauslösende Gedanken werden in Frage gestellt und neue, hilfreichere Gedanken entwickelt. Auf diese Weise können Angststörungen erfolgreich behandelt werden.
In wie weit ist eine Heilung, ein gutes Leben mit einer psychischen Erkrankung möglich?
Besonders wenn sich die Angststörung erst vor kurzer Zeit entwickelt hat, ist eine erfolgreiche Behandlung durchaus wahrscheinlich. Warten Betroffene jedoch mehrere Jahre bis sie eine Psychotherapie aufsuchen, stehen die Chancen deutlich schlechter. Eine chronifizierte Angststörung schlägt sich in einem weit verzweigten neuronalen Angst-Netzwerk nieder. Das bedeutet, dass sich die angstauslösenden Situationen vermehren und das vegetative System dauerhaft aktiviert bleibt. So müssen Betroffene mit zunehmender Krankheitsdauer schließlich unzählige Situationen vermeiden und sich in ihrem Leben dabei so sehr einschränken, dass sich nicht selten eine zusätzliche depressive Störung entwickeln.
Daher ist es also wichtig, möglichst schnell zu reagieren und sich professionelle Hilfe zu suchen.
Welche besonderen Fähigkeiten haben Betroffene?
Häufig haben sie eine ausgeprägte Neigung, körperliche Empfindungen wahrzunehmen. Wo andere also überhaupt nicht in sich hineinfühlen, checken Angstpatienten im Übermaß ihren Körper. Das kann in einem „gesunden“ Maß eine sehr hilfreiche Fähigkeit sein. Denn über Körperempfindungen können wir Gefühle und damit auch den Zustand über unsere aktuellen Bedürfnisse erkennen.
Je nach Angst-Inhalten nehmen Betroffene auch mimische Veränderungen beim Gegenüber besonders aufmerksam wahr. Können sie diese Fähigkeit schließlich nutzen, um die eigenen Hypothesen (z.B. die zusammengekniffen Augenbrauen könnten bedeuten, dass mein Gegenüber nicht mit mir übereinstimmt) im Gespräch zu überprüfen, kann diese Fähigkeit dabei helfen, Beziehungen aktiv zu gestalten.
Sonja Unger ist als Psychologische Psychotherapeutin tätig und unterstützt auf ihrer Seite Menschen auf ihrem Weg zu mehr Selbstvertrauen. Sie leistet außerdem Aufklärungsarbeit auf Instagram.