Martin, Mittelschwere Depression

Mittelschwere Depression: Wir sind nicht allein – stehen wir dazu und machen wir uns gegenseitig stark füreinander!

Betroffener: Martin
Jahrgang: 1980
Diagnose: Mittelschwere Depression, generalisierte Angststörung und selbstunsichere Persönlichkeitsstörung
Therapie: Antidepressiva und Psychotherapie
Ressourcen: Musik, Fotografieren, Familie & Freunde

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Ich war schon seit Jahren ein eher grübelnder, nachdenklicher Mensch und hatte stets Ups & Downs. Die schleichend wachsenden Symptome aber entwickelten sich letztes Jahr durch eine hohe Stressbelastung zu einem traurigen Höhepunkt. Ich suchte aus eigener Motivation eine Psychiaterin auf und ließ mich in diversen Gesprächen und Tests über meine Störungen und Erkrankung aufklären.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Bis noch vor einem Jahr war ich der Überzeugung, dass nur ich solche Gedanken, Ängste und Selbstzweifel hätte und vor allem, dass ich selber schuld an all dem sei, da ich einfach zuviel grüble. Zudem schämte ich mich oft für dieses „Anderssein“. Nachdem ich bereits den ersten Schritt in die Öffentlichkeit im Rahmen eines Radio-Interviews gemacht habe, möchte ich weiter damit an die Öffentlichkeit gehen und somit mir und vielen anderen Betroffenen weiterhin Mut machen, zu meiner/ihrer Geschichte zu stehen und im Alltag somit besser damit umgehen zu können.
 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Viele haben sehr überrascht reagiert, da ich nach außen hin immer eine Art Schutzschild aufstellte und mir ungern anmerken ließ, dass es mir schlecht ging. In der Freizeit, also an den Wochenenden, überspielte ich meine Ängste oft mit hohem Alkoholkonsum – und war somit weiterhin der offene, lustige und immer gut gelaunte Kumpel.
Mittlerweile spüre ich großes Verständnis im engen Freundeskreis. Mit den anfänglich zwar sehr gut gemeinten, aber oft kontraproduktiven „guten Ratschlägen“ halten sie sich inzwischen zurück. Jeder Mensch macht eine psychische Krankheit anders durch. Zwar können Nahestehende Tipps und Ratschläge geben, aber es gibt eben kein allgemeingültiges Rezept, damit es Menschen besser geht.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Erstmal eine konkrete Diagnose zu erhalten und meinen Problemen einen Namen zu geben. Somit konnte ich mich konkreter danach richten und Hilfe und Rat suchen.
Im zweiten Schritt half es mir, darüber offen zu reden und mich nicht mehr verstecken zu müssen. Das Verstecken der Erkrankung erforderte sehr viel Kraft.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Meine Leidenschaft fürs Kreative, welche ich lange ignoriert habe oder nicht den Mut dazu hatte. Mir sind das Fotografieren und Musik auflegen sehr wichtig. Zudem bin ich auch gerne alleine in der Natur unterwegs oder treffe mich mit Freunden.
 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Schämt euch nicht für eure Krankheit und Störungen. Akzeptiert das, sucht euch Hilfe und bezieht eure Liebsten mit ein.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir
(einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Hört uns Betroffenen zu und versucht, unsere „Macken“ zu akzeptieren. Macht uns aber auch Mut, uns dem zu stellen und nicht einfach zu akzeptieren, dass wir halt so sind. Haltet euch aber eher zurück mit gutgemeinten Ratschlägen wie: „Ach komm, gib dir einfach mal einen Ruck…“.

Und versucht auch die positiven Seiten zu sehen, dass wir zum Beispiel viel einfühlsamer und rücksichtsvoller handeln und uns auch um das Wohl von anderen Menschen sorgen.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich gehe zunächst zurückhaltend auf andere zu: Ich falle nie direkt mit der Türe ins Haus, sondern versuche die Menschen zu spüren und mich auf sie einzulassen. Dann kann ich mich ihnen aber auch öffnen. Humor ist mir sehr wichtig und damit helfe ich mir selber und anderen immer mal wieder, um schwierige Zeiten zu meistern.
 
Martin ist im Interview bei Radio SRF zu hören.