PTBS: Alles wird gut!

Betroffene: Birgit
Jahrgang: 1984
Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung, Dissoziative Störungen der Bewegung, Sinnesempfindung, Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen; chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren
Therapien: Derzeit ambulante Psychotherapie (Verhaltens- und Traumatherapie), Ergotherapie (psychisch-funktionelle Behandlung) und Schmerztherapie; davor zwei Aufenthalte teilstationär in einer psychiatrischen Tagesklinik und anderweitige ambulante Therapien (tiefen- und verhaltenspsychologisch)
Ressourcen: mein Hund „Sam“ und unsere gemeinsamen Aktivitäten wie beispielsweise Hundesport (Agility und Obedience), Spaziergänge, Hochsensibilität, Natur, Lesen, Interesse an Psychologie und Themen den Menschen betreffend

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Die ersten Diagnosen wurden während meiner beiden Aufenthalte in der psychiatrischen Tagesklinik in den Jahren 2015 und 2016 gestellt. Zuvor war alles sehr schwammig und für viele Ärzt*innen und Therapeut*innen nicht greifbar (für mich übrigens auch nicht – ich empfand mich als nicht normal und fremd auf dieser Welt). Meine Hausärztin und weitere Fachärzte haben mir versichert, dass bei mir körperlich alles in Ordnung sei und sie mir nicht weiterhelfen können. Diese Odyssee fing bereits im Alter von 17 Jahren und mit meinen ersten Essproblemen und Schmerzen an. Trotz dem Ausschluss sämtlicher körperlicher Erkrankungen ging es mir einfach nur schlecht(er). Dann kam es zu den ersten Kontakten im Bereich der ambulanten Psychotherapie, wo zu Beginn die Diagnose der Depression gestellt wurde … die „berühmte“ und oft genannte Depression, von der man mittlerweile weiß, dass es häufig nur eine Begleiterscheinung zur eigentlichen Erkrankung ist. Meine endgültige Diagnose habe ich letztendlich von meiner jetzigen Psychotherapeutin bekommen, bei der ich mich seit fast drei Jahren in Behandlung befinde und die sich von Beginn an viel sehr Zeit für mich genommen hat.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Erst vor kurzem habe ich von eurem wunderbaren Projekt und dem dazugehörigen Verein „Mutmachleute e.V.“ erfahren und habe seitdem viele Interviews und anderweitige Beiträge gelesen und immer wieder auf eurer Seite vorbeigeschaut. Das hat mich sehr berührt … wie schön, dass es euch gibt!

Um zur eigentlichen Frage zurückzukommen:

Was mich dazu bewegt, Gesicht zu zeigen? Ich wünsche mir mehr Respekt, Wertschätzung und Verständnis für Menschen mit Persönlichkeitsstörungen und möchte mit einem kurzen Einblick in mein Leben dazu beitragen. Denn jeder kann in diese Situation kommen! Niemand ist vor solch einer Krankheit geschützt! Und es existieren einfach zu viele Vorurteile, unschöne Bilder bzw. Denkweisen über psychische Erkrankungen und vor allem Berührungsängste mit den Themen und betroffenen Menschen.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Puh! Ganz ehrlich gesagt, ist diese Frage sehr schwer und nicht exakt zu beantworten. Einen Zeitpunkt, wo ich meinem Umfeld die Krankheit mitgeteilt habe, gab es eigentlich nie wirklich. Das ist – glaube ich – etwas ganz anderes, wenn man eine klare körperliche Diagnose bekommt. Mein Umfeld weiß im Prinzip, dass bei mir psychisch irgendetwas nicht stimmt, dass ich aufgrund dessen viel depressiv bin und meist sehr zurückgezogen lebe, dass ich beim zweiten Tagesklinikaufenthalt ziemlich lange (5 Monate) in der Einrichtung war, dass ich seitdem weiterhin in ambulanter Therapie bin und dass es schon verhältnismäßig lange geht. Zudem ist mein Umfeld die letzten Jahre massiv geschrumpft und es gibt nur sehr wenig persönliche Kontakte.

Von meinem Umfeld bzw. von der Gesellschaft würde ich mir wünschen, dass ich nicht nur auf meine Leistung und meinen Nutzen reduziert werde. Dort habe ich oft schlechte Karten, kann nicht mithalten und werde häufig auf meine Fehler reduziert. Zudem würde ich anderen Menschen gerne auf Augenhöhe begegnen, ohne dass ich das Gefühl habe mich unterordnen zu müssen oder anderen unterlegen zu sein. Das wäre schön …

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Habe ich die Krankheit wirklich akzeptiert? Oh je … da rebelliert mein „innerer Kritiker“, der sich gerade bei solchen Fragen voll in seinem Element fühlt.

Die Krankheit zu akzeptieren bedeutet in gewisser Weise auch Selbstakzeptanz. Daran arbeite ich stetig und stecke mitten im Prozess. Was dabei hilft, ist auf jeden Fall meine ambulante Psychotherapie und die Arbeit mit meinen verschiedenen Persönlichkeitsanteilen. Ein guter Ausgleich bzw. wohltuende Ergänzung dazu sind meine Ergotherapie-Sitzungen. Dort lerne ich ein Gespür dafür zu bekommen, was mir gut tut und was ich in welchen Situationen brauche. Was mir auch geholfen hat, waren meine Aufenthalte in der Tagesklinik und das damit verbundene Wissen, dass es andere Menschen gibt, denen es – nicht genauso – aber ähnlich geht und ich nicht alleine bin.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

(Auf-)Schreiben, mit meinem Hund „Sam“ reden bzw. kuscheln, Spaziergänge, Trösten mit Schokolade und Studentenfutter (Nüsse und Rosinen sortieren hat eine beruhigende Wirkung!), Ablenkung durch einen Film, Igelbälle, Gummibänder, meine Schatztruhe (gefüllt mit Dingen, welche mir gut tun und schöne Erinnerungen; eine Art „Notfallkoffer“) und leider viel zu oft den Rückzug.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Ich wünsche anderen Betroffenen den Mut, frühzeitig professionelle, psychologische Hilfe anzunehmen und nicht erst auf den „Jetzt-geht-wirklich-nichts-mehr-Punkt“ zu warten. Bei der Wahl des Psychologen/der Psychologin – wenn man sich für eine ambulante Therapie entscheidet – sollte man sich allerdings Zeit nehmen, die provisorischen Sitzungen in Anspruch nehmen und auf sein Bauchgefühl hören. Gut ausgebildet sind meiner Ansicht nach so ziemlich alle Psychotherapeut*innen, aber zum größten Teil (80 Prozent) kommt es auf den Beziehungsaspekt an. Wenn man sich nicht wohl oder gut aufgehoben fühlt, hilft auch die beste Therapie nichts.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir
(einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Ich finde es gut, wenn sich Angehörige für die jeweiligen Erkrankungen interessieren und sich damit beschäftigen. Was ich aber viel wichtiger finde, ist für den Betroffenen/die Betroffene da zu sein und ein liebevoller, wertschätzender Umgang. Freundliche Worte oder eine nette Geste haben einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden des Betroffenen/die Betroffene. Man muss als Angehörige/r wirklich nicht versuchen zu tief in die Materie einzusteigen, denn dafür gibt es im besten Fall die professionellen Helfer. (nicht nur Psychotherapeuten, sondern beispielsweise auch Seelsorger und sozialpsychiatrische Dienste; Thema „Selbstschutz“) Was ich für Angehörige auch wichtig finde, ist zu wissen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen oft mehr Rückzug benötigen – das geschieht oft wortlos – und dass man das als Angehöriger oder Freund/Freundin nicht persönlich nehmen sollte. Das bedeutet nicht, dass kein Interesse an Kontakten, Freundschaften oder Nähe besteht!

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Meine Sensibilität und mein Feingespür, Empathie und Einfühlungsvermögen
Birgit ist auf Facebook zu finden.