PTBS und Agoraphobie: Ich bin ein Mensch unter Menschen.

Betroffene: Julia
Jahrgang: 1993
Diagnosen: Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Agoraphobie
Therapien: Verhaltenstherapie, Psychosomatische Klinik, Antidepressiva
Ressourcen: Natur, Schreiben, Musik, Familie, Star Wars

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Im November 2011 bekam ich die Diagnosen Posttraumatische Belastungsstörung und Agoraphobie. Da war ich bereits seit vier Jahren krank. Als Teenager konnte mir nur keiner sagen, was mir fehlte. Ich war mehr oder weniger alleine mit meinen Problemen und heillos überfordert. 2011 sagte mir mein damaliger Therapeut dann endlich, was mir das Leben so schwer machte. Seitdem informiere ich mich umfangreich über die Störungen, rede so viel wie möglich mit anderen Betroffenen und lerne mich dadurch selbst immer besser kennen.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Die #Mutmachleute sind nicht mein erster Weg gewesen, zu mir selbst zu stehen. Seit Juni 2017 führe ich einen Blog über das Thema psychische Erkrankungen aus Perspektive einer Betroffenen. Ich sehe es einfach nicht mehr ein, mich zu verstecken. Ich habe so viele positive Eigenschaften, kann so viele tolle Dinge, wieso sollte ich mich nicht in meiner Ganzheit präsentieren? Ich finde das ehrlicher. Ja, ich habe eine PTBS und eine Angststörung, ich habe aber auch sonst ein sehr vielschichtiges und glückliches Leben. Die Erkrankungen gehören zu mir, wieso also sollte ich sie verstecken? Ich schäme mich nicht.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Sie waren sehr erleichtert und überfordert zugleich. Erleichtert, weil das Monster, das mich so lange gelähmt hatte, endlich einen Namen und damit eine Angriffsfläche bekam. Überfordert war mein Umfeld, denn es lag bekanntlich ein langer Weg vor uns. Sehr vieles wurde aus der Versenkung geholt, Verdrängtes aufgearbeitet und dabei mussten meine Angehörigen aktiv mitwirken. Ich würde sagen, wir gehen jetzt ehrlicher und sehr offen miteinander um, weil wir uns besser kennengelernt haben. Ich bin meinem Umfeld sehr dankbar, dass sie diese schwere Zeit mit mir durchmachen. 2012, also in der Hochphase der Therapie, lernte ich meinen Freund kennen. Der stieg direkt mit ein in die Therapie und seitdem steht er fest an meiner Seite. Ich kann mich auf ihn verlassen, gerade in schweren Zeiten. Das nimmt mir sehr viel Druck. Andererseits ist mein Umfeld nach wie vor relativ uninformiert, was psychische Erkrankungen angeht. Deswegen ist mir meine Aufklärungsarbeit so wichtig. Dazu gehört auch viel Geduld meinerseits, wenn dann doch mal wieder ein dummer Spruch fällt. Ich weiß, dass sie mir helfen wollen, und das rechne ich ihnen sehr hoch an.

 

Welche Dinge haben Dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Ich habe mich sehr intensiv mit ihr auseinandergesetzt. Zum einen auf der „professionellen“ Ebene (da hilft auch das Psychologiestudium ein wenig, das ich 2013 begonnen habe). Zum anderen habe ich mich auf einer sehr privaten und intimen Ebene mit meiner Krankheit beschäftigt. Wie kann ich meine Angst, die mich so oft am Leben hindert, akzeptieren? Wie schaffe ich es, sie nicht zu hassen? Wie schafft man es, nach Wochen ohne richtigen Schlaf, nicht die Hoffnung zu verlieren? Sehr geholfen hat mir die Erkenntnis, dass ich einfach krank bin. Verletzt. Mit einem gebrochenen Bein würde ich mich schonen. Wieso also nicht mit einer gebrochenen Seele? Meine Angst will mir nicht wehtun, sie will mich schützen. Die Frage ist nur, wovor? Von diesem Standpunkt aus können wir recht gut miteinander arbeiten, ich und meine Krankheit. Auch das Schreiben hat mir geholfen, denn
 

Worte auf Papier sind real. Sie sind endgültig. Dadurch werden die Symptome greifbarer. Ich gebe ihnen also ein Gesicht, mit dem ich sprechen kann.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Mein Bett. Meinen Laptop. Star Wars. Ehrlich, ich werde oft gefragt, warum ich ausgerechnet diese Filmreihe als Ressource betrachte. Ich kann die Filme mitsprechen, sie sind vorhersehbar (im Gegenteil zu meiner Krankheit), sie sind voller Hoffnung. Außerdem lenken sie mich einfach ab. Wenn gar nichts mehr geht, schaue ich alle neun hintereinander. Das füllt den Tag und ich habe das Gefühl, wenigstens irgendwas gemacht zu haben, was nichts mit Grübeln zu tun hat. Ganz wichtig ist natürlich auch mein Freund. Mit ihm kann ich einfach sprechen, ihm alles erzählen, ihm erklären, was ich selbst nicht ganz verstehe. Weinen. Umarmen. Wieder heilen. Er kocht mir Tee oder macht mir was zu essen, wenn ich es selbst nicht kann. Er bringt mich zum Lachen, obwohl ich sicher war, das Lachen für immer verloren zu haben. Auch das Musikhören ist eine Strategie, die ich in Krisensituationen gerne verfolge. Wenn in den Ohren Metallica oder Mark Forster dröhnen, kann mein Kopf keine Katastrophen erschaffen. Oft sitze ich auch einfach am offenen Fenster und schaue die Sterne an. Dann gehe ich von Ost nach West und benenne alle Sternbilder, die ich kenne.

Die Sterne geben mir das Gefühl, dass meine derzeitigen Probleme einfach zu klein sind, um sie dramatisch zu finden. Sie verschwinden schon wieder. Die Sterne bleiben.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Du bist okay. Du bist gut so. Du bist krank, ja. Aber du bist an ganz vielen Stellen auch gesund. Vergiss nicht, was du alles bist. Lass die Krankheit nicht gewinnen. Sie mag sich phasenweise wie der Tod anfühlen, aber das ist sie nicht. Es wird besser, das wird es immer. Wenn du es noch nicht getan hast, such dir Hilfe. Oder such dir Hilfe, die dir Hilfe suchen kann (wie Freunde, die einen Therapeutentermin für dich ausmachen). Sprich über dich, sonst kann dich keiner hören. Es gibt nichts an dir, wofür du dich schämen musst. Gar nichts. Merk dir das. Und wenn du von irgendwelchen Leuten dumme Sprüche hören musst, hab Mitleid mit ihnen, weil sie so unsensibel sind. Erkläre es ihnen, wenn du möchtest. Ansonsten, nimm es dir heraus, einfach zu gehen. Niemand hat die Hoheit über dich, außer du selbst. Und kämpfe. Kämpfe, als wäre es der wichtigste Kampf deines Lebens (das ist er nämlich). Gib niemals auf. Du bist schon so weit gekommen. Du bist wichtig. Du bist wertvoll. Lass dir bitte nichts anderes einreden. Und wenn du zweifelst: Es sind nur Gedanken.
 

Es ist nur deine Krankheit, die dir Dinge einredet. Das bist nicht du. Das ist nur ein Teil von dir. Denk an deine anderen Teile, an den Kern tief in dir, der heil geblieben ist.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Habt Geduld mit uns, wir versuchen es wirklich. Seid aber auch aufmerksam euch selbst gegenüber. Viele psychische Probleme entstehen, weil man zu lange zu stark für jemand anderen da sein wollte. Ihr müsst gesund bleiben, damit eure Angehörigen gesund werden können. Achtet auf euch und eure Bedürfnisse. Und bitte, hört nie auf, miteinander zu sprechen, über die Gefühle des anderen, aber auch über die eigenen. Lasst den Betroffenen erklären. Lasst ihn zweifeln. Zeigt ihm aber immer, dass ihr da seid. Umarmt euch, wenn sich das gut anfühlt. Organisiert euch Hilfe, wenn es nötig ist (z.B. Familienhelfer).

Und schämt euch nicht. Bitte, schämt euch nicht für uns. Wir merken das. Informiert euch darüber, worunter euer Angehöriger leidet.

Ihr müsst es nicht zu hundert Prozent nachvollziehen können. Ihr solltet aber versuchen, es zu verstehen.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin offen. Ich bin ehrlich. Ich verstecke mich nicht. Außerdem bin ich sehr empathisch. Ich respektiere alle Menschen, eigentlich bewundere ich sie sogar. Ich versuche, zu verstehen. Meine Neugierde ist wahrscheinlich meine wichtigste Eigenschaft. Denn solange man neugierig ist, kann man keine Angst haben. Man will einfach wissen, was passiert. Meine Problemlösekompetenz ist vermutlich auch oft hilfreich. Ich analysiere die Situation und reagiere. Je nüchterner man die Erkrankung betrachtet, desto weniger furchterregend ist sie. Auch einen gewissen Humor will ich mir nicht absprechen. Hoffnung. Ist das eine Eigenschaft? Ich gebe sie zumindest nie auf.
 
Julia bloggt auf Blütenstille.