Rezidivierende depressive Störung: „My Story isn’t over – meine Geschichte ist noch nicht zu Ende.“
Betroffene: Marina Gietmann-Neblung
Jahrgang: 1986
Diagnose: rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode), emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Posttraumatische Belastungsstörung und Angststörung
Therapie: seit 2014 monatliche Gespräche mit meiner Psychiaterin, 2016 Tagesklinik, 2018 psychosomatische Reha
Ressourcen: Ehemann, Kinder, Schwester, Freunde, Musik
Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?
Ich habe schon immer gemerkt, dass ich anders bin als andere. Ich war nachdenklicher und oft traurig. Ebenso habe ich mich häufig zurückgezogen und viele Menschen gemieden. Nach und nach entwickelte sich über Jahre meine Anspannung weiter, sodass ich mit 17 Jahren anfing, mich selbst zu verletzen. Dies tat ich unbemerkt, weil es mir unangenehm gewesen wäre, sollte jemand erfahren, wie es mir wirklich geht. Viele Jahre lebte ich so und wurde, wenn ich mir Hilfe gesucht habe, nicht ernstgenommen. Erst 2014, nach der Geburt meines vierten Kindes, hat meine damalige Hebamme erkannt, dass mehr dahintersteckt als die Wochenbettdepression nach der Geburt. Durch sie kam ich an meine jetzige Psychiaterin und bin seitdem in Therapie. 2016 bekam ich dann zusätzlich die Diagnose Borderline Persönlichkeitsstörung.
Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?
Ich habe mich all die Jahre versteckt – und das tat mir nicht gut. Ich habe sehr viel Schminke etc. benutzt, damit bloß keiner sieht, wie ich darunter aussehe. Nämlich so, wie mich die Krankheit aussehen lässt: mit Augenringen, müde, blass, traurig etc. Es gibt sehr viel Ablehnung in der Gesellschaft, und die Krankheiten werden als lächerlich und Anstellerei abgestempelt. Es fehlt Aufklärung bei den Menschen. Wenn ich einen Teil dazu beitragen kann, tue ich es gerne.
Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?
Für mein engstes Umfeld (Mann, Schwester und zwei bis drei weitere Kontakte) ist es nun einfacher zu verstehen, warum ich manchmal so bin, wie ich bin. Wenn ich wegen einer Kleinigkeit überreagiere, wissen sie, dass es kurz danach wieder gut ist und ich alles wieder anders sehe. Ansonsten habe ich nicht viele enge Kontakte, eben, weil sehr wenig Verständnis da ist und ich mich dann doch lieber zurückhalte. Vom Umfeld wünsche ich mir, dass eine Depression oder Ähnliches nicht mehr als Kleinigkeit abgestempelt wird. Wir stellen uns nicht an – und wenn es uns schlecht geht, ist es ernst. Mehr Verständnis, Akzeptanz und das Interesse, sich über die Krankheiten zu informieren, wäre toll. Ich erzähle auch relativ schnell von meinen Erkrankungen, damit auch jeder weiß, worauf er sich mit mir einlässt.
Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
Ich wusste immer, dass etwas mit mir nicht stimmt, und für mich haben wirklich die Diagnosen geholfen, alles so zu akzeptieren, wie es ist bzw., wie ich bin. Ich habe 2016 endlich die Diagnose der Borderline Störung bekommen – und es war wie eine Erlösung, da mein Verhalten und Denken endlich eine Erklärung haben. So weiß ich, woran ich arbeiten kann, auch wenn es noch ein harter Weg ist. Außerdem kämpfe ich für meine sechs Kinder, auch wenn es hart ist. Meine Kinder halten mich am Leben.
Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?
Meinen Mann, meine Kinder und die Musik
Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Steht zu euren Erkrankungen, denn sie machen euch unter anderem aus. Unsere Erkrankungen machen uns feinfühliger, und wir können kleine Dinge oft mehr genießen als andere. Lasst euch nicht von anderen herunterziehen und versucht, euch abzugrenzen von dem, was euch nicht guttut.
Ich habe selber viele Jahre dafür gebraucht und mich erst jetzt, nach meiner Reha im September, dazu bekommen, dieses zu tun.
Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?
Wichtig ist, wie ich schon geschrieben habe, das Verständnis. Es ist natürlich nicht immer leicht, aber es ist für die Erkrankten toll zu sehen, wenn wir in unserem Denken und Fühlen ernstgenommen werden. Bitte lasst diese typischen Sätze weg, die man gerne mal sagt, denn wenn wir traurig, ängstlich, böse etc. sind, dann ist es eben gerade einfach so.
Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?
Ich bin hilfsbereit und versuche, soweit es geht, für andere da zu sein.
Marina schreibt auf Facebook.