Bipolare Störung: Es ist okay, am Abgrund zu stehen.

Betroffene: Olivia
Jahrgang: 1981
Diagnose: rezidivierende Depression, Bipolare Störung, Hochsensibilität
Therapie: Psychologie, Neurofeedback, Medikamente, Psychiatrie, Klinikaufenthalte, Internetcoaching, Geistheilung
Ressourcen: Natur, Pferde, meine Katze, Freunde, Familie, Meditation, viel Bewegung, Kunst, Musik

 

Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren?

Im Alter von ca. 18 Jahren war ich das erste Mal wegen psychischer Probleme in Behandlung. Im Alter von 35 Jahren erhielt ich in der Klinik die Diagnose rezidivierende Depression. Zwei Jahre später bei einem erneuten Klinikaufenthalt wurde mir eine bipolare Störung Typ 2 attestiert. Auf das Phänomen Hochsensibilität wurde ich etwa im Alter von 28 Jahren aufmerksam.
 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Momentan geht es mir gut. Ich habe gelernt die Persönlichkeitsstörung zu akzeptieren und auch als Krankheit anzusehen anstatt als Charakterschwäche. So respektiere ich nun auch meinen holprigen Lebensweg. Wenn ich darauf zurückschaue wird mir so einiges klar. Es ist so vieles unbewusst geschehen, in meiner Familie und in mir.

Ich möchte hiermit allen Menschen Mut machen, ihren ganz eigenen Lebensweg anzunehmen und zu respektieren, egal wie hoch die Berge und wie tief die Täler auch sein mögen.

Ich weiß, wie es ist, sich im tiefen Morast festgefahren zu fühlen, kann aber auch über Höhenflüge berichten.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft) in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?

Viele Menschen reagierten mit Verständnis, Mitgefühl und Geduld. Andere zeigten sich überfordert und distanzierten sich von mir.

Wünschen tue ich mir mehr Offenheit und Mut zu einem ehrlichen Dialog.

Es wäre schön, wenn man so ungeniert seine Empfindungen preisgeben dürfte, wie wenn man über das Wetter spricht. Einfach ehrlich sein und sich auch verletzlich zeigen dürfen.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Ein allabendliches Ritual: Ich zünde in meinem Zimmer eine Kerze an, öffne Fenster und Tür und lade alle Dämonen, die da heißen Depression, Bipolarität, Schuld, Scham, verkorkstes Leben, u.s.w. ein, bei mir Platz zu nehmen. Durch dieses Ritual, welches ich über mehrere Wochen durchführte, ist die Akzeptanz der aktuellen Lebenssituation in mir gewachsen.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Damit ich möglichst nicht mehr in akute Krisen gerate, achte ich sehr gut auf mich. Das heißt, ich nehme die Warnsignale meines Körpers und Geistes eher wahr und reagiere darauf mit mehr Erholung, Bewegung, gesunder Ernährung. Ich achte darauf, dass ich mich beruflich nicht mehr überfordere. Ich probiere in allem, was ich tue, möglichst präsent zu sein. Angenehme als auch unangenehme Gefühle nehme ich als solche wahr und nehme sie an.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Auch wenn ihr das Gefühl habt, am Abgrund eures Lebens zu stehen, es ist okay. Dann bleibt einfach so lange dort stehen, bis ihr wieder eine neue Möglichkeit seht, weiterzugehen. Weil diese Möglichkeit ist immer da. Aber manchmal braucht es Zeit und Geduld bis man dies wieder erkennen kann. Dann kommt auch die Motivation und Hoffnung wieder zurück.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Seid präsent für die Person, wenn sie dies möchte. Fragt nach. Akzeptiert und respektiert sie, wie sie ist. Schaut, dass ihr euch selber nicht überfordert, ansonsten holt euch Hilfe.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Klarheit, Spiritualität, Naturverbundenheit, Besonnenheit, Kreativität, Mitgefühl.
Ich liebe es, Menschen emphatisch zuzuhören. Meine Erfahrung mit der Krankheit, hat meinen Charakter auf besondere Weise geprägt und mich bestimmt auch weiser gemacht.