Bipolare Störung: Und ich steh trotzdem immer wieder auf.

Betroffene: Tina
Jahrgang: 1975
Diagnosen: Bipolare Störung; früher Panikstörung, soziale Phobie, PTBS und Borderline
Therapien: Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Schema- und Traumatherapie, Medikamente
Ressourcen: Wald, Musik, Schreiben, meine Familie, mein Hund

 

Warum hast du dich entschieden, Gesicht zu zeigen?

Weil ich anderen Mut machen und zeigen möchte, dass man sich nicht verstecken muss – auch nicht im Berufsleben. Ich bin Geschäftsführerin einer kleinen Werbeagentur in einer kleinen Stadt. Aber ich mache mich nicht mehr klein. Insbesondere gegen bipolare Menschen wird oft schlechte Stimmung gemacht: unheilbar, durchgeknallt, rücksichtlos wenn manisch, unerträglich wenn depressiv – die Liste ist lang. Ich möchte gegen dieses Image arbeiten und zeigen, dass wir keine Monster sind. Auch wenn wir in manchen Dingen anders denken und fühlen, die Welt etwas anders wahrnehmen und uns auch so verhalten von Zeit zu Zeit. Dafür habe ich #Mutmachleute gegründet.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat?

Mein Coming out hatte ich vor einer Weile – und es wurde durchweg positiv aufgefasst. Mitunter stellte ich kleine Aha-Effekte fest, bekam sogar bewundernde Seiten­blicke, manchmal auch ein mitfühlendes Lächeln. Immer aber sprach man sich für den Mut aus, der dahinter steckt und ich habe selten so viele Dankeschöns gehört für meine Offenheit und mein Vertrauen. Das hat mir wiederum Mut gemacht, anderen zu helfen: Gesicht zu zeigen. Für diesen Schritt habe ich jedoch über zwanzig Jahre gebraucht.

 

Welche Dinge haben Dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Ich habe ein wunderbares Netzwerk aus engen, langjährigen Freund*innen, guten Bekannten, tollen Kolleg*innen, lieben Nachbar*innen und meiner Familie. Daran habe ich teil und trage es ebenso, wie es mich trägt und mir Sicherheit und Stabilität vermittelt – genau wie meine langjährige Ehe. Das mache ich mir immer wieder bewusst. Und: ich bin diejenige, die ich bin. An vielen Punkten kann man arbeiten – wenn man den Willen dazu hat.

Die Erkenntnis, dass meine psychische Erkrankung mich letztlich so stark gemacht hat, dass ich mehr bin als die Summe aller Teile, dass ich mehr bin als eine Überlebende, gibt mir Zuversichtlichkeit, Kraft und ein großes Selbstwertgefühl. Meine Erkrankung hat mich ebenso in die Höhen wie die Tiefen katapultiert – aber ich bin immer noch da und lebe damit.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Seit jeher bin ich ein Steh-auf-Männchen. Nach vier Therapien in zwei Jahrzehnten bin ich inzwischen auf gutem Weg, nach vorne zu sehen und die Regie in meinem Leben zu übernehmen. Ich lasse meine Dämonen tanzen, wenn es Zeit dafür ist und ich sie managen kann; wenn nicht, halte ich sie im Zaum.

Die Regisseurin meines Lebens bin ich,
nicht meine Störung.

Insbesondere die Schematherapie, die bei auch bei Persönlichkeitsstörungen große Erfolge zu vermelden hat, schlug bei mir ein wie eine Bombe. Mit ihr habe ich gelernt, meine Emotionen überhaupt wahrzunehmen und setze tagtäglich die Realitätschecks ein. So begegne ich den meisten Situationen inzwischen sehr gut gewappnet und kann mich vernünftig verhalten. Mithilfe der Schematherapie und einigen DBT-Skills verbinde ich die Anteile (oder „Modi“) in mir, die gegenläufig, impulsiv, oft unkontrolliert oder gar nicht wahrnehmbar liefen. Ich kann mich inzwischen besser abgrenzen. Die Medikamente, die ich nehme, helfen mir, weder in eine manische noch in eine depressive Phase zu geraten. Die Ausschläge sind nicht mehr so extrem, und ich kenne die Frühwarnzeichen sehr gut. Ich weiß, wann ich aufpassen muss: Wenn ich zu wenig schlafe, wenn mein Denken Hochfahrt aufnimmt, ich letztlich drohe „durchzuknallen“ – um am Ende eine Bruchlandung nach dem Höhenflug zu erleben. Dann steuere ich dagegen, so gut ich kann.

Meine derzeit sehr wichtige Ressource: mein kleiner Border Collie. Ich bin seit jeher verrückt nach Hütehunden. Wenn ich mit ihm trainiere, im Wald laufe, Sport mache oder schwimmen gehe – er ist 24/7 mein Begleiter und erdet mich. Er sorgt dafür, dass ich im Hier und Jetzt bleibe und mich auf den Moment konzentriere, dabei aber nie den Blick fürs Weite verliere. Mit ihm kann ich egal wohin gehen: dann ist mir alles wurscht.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Meine beiden Kinder haben mir einen Weg auferlegt, den ich ohne sie mit Sicherheit so nicht hätte beschreiten können: Verantwortung übernehmen, häufig funktionieren müssen. Aber sie haben mir vor allem die Selbstsicherheit gegeben, die ich niemals hatte: dass ausgerechnet ich für andere sorgen kann.

Mein Beruf erlaubt mir, mich intellektuell nicht verstellen zu müssen. Kreative denken oft anders und können diese Ressourcen nutzen. Ich nutze meine Hochsensibilität und meine synästhetischen und sprachlichen Begabungen. Wenn alles in mir blockt oder die Panik kommt, renne ich durch den Wald abseits der Zivilisation. Der Wald ist meine größte Auszeitressource. Danach kann ich mich immer wieder „einklinken“ ins normale Leben. Auch die Pferde von Freund*innen sind eine große Ressource für mich. Bei ihnen kann ich abschalten, körperlich arbeiten, und man sagt nicht umsonst: Das Glück ist auf dem Rücken der Pferde.

 

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin ein freiheitsliebender Mensch. Am wichtigsten war der Weg zur inneren Freiheit: Mich nicht mehr zu verstellen; Grenzen setzen zu können; den Mund aufmachen, wenn mir etwas nicht passt; mich von nichts und niemandem eingrenzen zu lassen und laut zu sagen: Nein! Ich bin jetzt frei.

 
 

Tina ist Gründerin, Vorstandsvertreterin und Sprecherin des Mutmachleute e.V.