Bipolare Störung und PTBS: Mentale Stärke kann wachsen – auch wenn eine Erkrankung weiterhin besteht.

Betroffene: Nora Hille

Jahrgang: 1975

Diagnosen: PTBS, bipolare Störung

Therapien: Psychoanalyse, Verhaltens- und Kunsttherapie

Ressourcen: Lieblingsmenschen, Schreiben, Malen, Kreativität, mein Glaube an Gott

 

Ein gelingendes, gutes Leben ist auch mit psychischer Erkrankung möglich.

 

Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren?

Die Diagnose „bipolar“ wurde erstmals im Alter von Anfang 20 gestellt. Damals wollte ich die Erkrankung nicht an mich ranlassen, sondern sah sie als einmalige Lebenskrise an und verdrängte die Diagnose für ein Jahrzehnt, das durch viele Depressionen sehr leidvoll war. Im Alter von 32 wurde mein Sohn geboren. Ich wurde manisch-dysphorisch (also beschleunigt-verzweifelt). Nach ca. 10 Tagen kam ich in eine psychiatrische Klinik, dort wurde die Diagnose bipolar gestellt, die ich diesmal sofort akzeptierte, wissend um meine Verantwortung für unseren Sohn.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Weil es aus meiner Sicht dringend nötig ist! Jede*r Dritte in Deutschland ist von einer psychischen Erkrankung betroffen und leidet zusätzlich häufig an Stigmatisierung durch die Gesellschaft und/oder an schmerzhaftem Selbst-Stigma. Wenn wir Betroffenen Gesicht zeigen, über unsere Erkrankungen schreiben und sprechen, leisten wir wichtige Aufklärung. Damit Stigma und Selbst-Stigma irgendwann in unserer Gesellschaft hoffentlich kein Thema mehr sind.

Mein persönlicher Auslöser war eine Begegnung 2019 mit einer verzweifelten Mutter, deren Sohn psychisch krank war und der sich (noch) jeder Behandlung widersetzte. Da wusste ich: Ab jetzt muss ich über meine bipolare Erkrankung reden und schreiben.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft) in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?

Lange wussten nur wenige von meiner Erkrankung. Ich erlebte schmerzliche Stigmatisierungen (Meine Mutter: „Das ist die Irre in unserer Familie.“ Eine frühere Schulfreundin: „Bei deinem Tablettenkonsum würde ich mich erschießen.“).

Deswegen lautet mein Credo: „Stigma tut weh – nieder mit dem Stigma!“

Da ich als meinen ganz persönlichen Beitrag zur Anti-Stigma-Arbeit ein Buch über den Umgang mit meiner bipolaren Erkrankung geschrieben habe, das im Herbst 2023 von einem Verlag veröffentlicht wird, werden viel mehr Menschen von meiner Krankheit erfahren. Ich hoffe, ab Erscheinungstermin des Buches auf eine interessierte Öffentlichkeit zu treffen, sodass ich

  • Gelegenheiten bekomme, über die bipolare Erkrankung und die Notwendigkeit der Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen aufzuklären,
  • Betroffene und deren Umfeld ermutigen kann
  • und in einen echten Dialog eintrete, zum Beispiel über Lesungen mit Fragestunde.

Schon jetzt veröffentliche ich Artikel über mentale Gesundheit und gegen Stigmatisierung. Mit meinen Texten möchte ich meinen Beitrag leisten, dass in unserer Gesellschaft das Wissen um psychische Erkrankungen wächst und Gesunde und psychisch Kranke gleichberechtigt und frei von Stigma miteinander umgehen.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Das Verantwortungsgefühl gegenüber meinen Kindern und die Liebe zu ihnen haben mir klar gemacht, dass ich mich der Erkrankung stellen muss, damit ich für meine Familie da sein kann.

Dann half mir

mein Wunsch, zur Managerin meiner Erkrankung zu werden:

Durch Therapien, konsequente Medikamenten-Einnahme, Selbstdisziplin und vor allem die Fähigkeit, mich permanent aus der Vogelperspektive wahrzunehmen. Dadurch sehe ich, wann ich Rückzug brauche, Bedarfsmedikamente oder einen Extra-Termin bei meiner Ärztin.

Spirituell gedacht hilft mir mein Glaube an Gott, der mich genauso liebt und will für diese Welt, wie ich bin. Die Dankbarkeit für mein Leben, für den Mann an meiner Seite und für unsere beiden Kinder. Und ja, auch eine Dankbarkeit, dass meine Seele damals, als es nicht mehr zu ertragen war, genau diese Erkrankung ausgewählt hat, um überleben zu können. Denn als Bipolare erfahre ich die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle und bin zumeist in meiner emotionalen Schwingungsfähigkeit nicht eingeschränkt, sondern eher noch etwas intensiver. Zwar ist mein Leben durch die emotionale Achterbahnfahrt anstrengender, wilder, bunter, oft auch schmerzhafter oder finsterer als das gesunder Menschen, aber ich liebe es und möchte mit niemandem tauschen.


Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Positive Glaubenssätze, Gespräche mit meinem Mann/Therapeut*in/Psychiaterin, Stress- und Aufgabenreduktion, Rückzug, Schweigen, tagsüber TV-Gucken statt neue Kreativ-Projekte, abends Entspannung auf der Akkupressurmatte, Bedarfsmedikamentation.


Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Ein gutes Leben ist auch mit psychischer Erkrankung möglich. Sogar dann, wenn du schon sehr lange daran leidest und die Hoffnung (fast) aufgegeben hat. Mit professioneller Unterstützung und stabilisiert durch Medikamente kannst auch du irgendwann deinen Weg aus dieser engen Umklammerung durch die Erkrankung finden.

Bitte gib nicht auf. Kämpfe für dich und dein Leben. Du bist wichtig für diese Welt.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Zuallererst: Es gibt Hoffnung. Für Erkrankte genauso wie für Angehörige. Psychische Erkrankungen sind behandelbar. Auch mit einer solchen Erkrankung kann ein lebenswertes Leben möglich sein, lassen sich noch manche Zukunftswünsche realisieren.

 

Wie gehe ich am besten mit einem Menschen um, der eine psychische Erkrankung hat?

  • Sich über die Erkrankung informieren.
  • Möglichst vorurteilsfrei zuhören,
  • Verständnis zeigen,
  • und für den Betroffenen da sein.
  • Keine Forderungen stellen, die der Erkrankte nicht erfüllen kann (Klassiker: „Jetzt reiß Dich mal zusammen!“ oder „Ab morgen gehst du wieder arbeiten!“).

 

Worauf muss ich bei mir selbst achten?

  • Klare Grenzen ziehen, wo nötig.
  • Sich unbedingt (!) über das Thema Co-Abhängigkeit informieren und nicht in die Rolle eines Krankenpflegers oder einer Hobbypsychologin reinrutschen.
  • Angehörigen-Selbsthilfegruppe vor Ort oder im Internet nutzen.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin ein zuversichtlicher, warmherziger und liebevoller Mensch und habe nach 25 Jahren gelernt, mit meiner bipolaren Erkrankung umzugehen. Generell (also außerhalb einer möglichen Depression) habe ich ein sehr sonniges Gemüt. Ich mag meine Kreativität und dass ich so häufig Dankbarkeit für mein Leben verspüre.

 

Nora ist  auf Instagram (@norahille_autorin) und bei Facebook 
und schreibt außerdem eine monatliche Kolumne über mentale Gesundheit für das Online-Magazin FemalExperts.
Wir halten Euch auf dem Laufenden, wann Noras Buch erscheint.