Depressionen, ADS, Persönlichkeitsstörung: Reden hilft.

Betroffener: Jochen

Jahrgang: 1982

Diagnosen: Schwere rezidivierende Depressionen, ADS, Persönlichkeitsstörung

Therapien: Pharmazeutika, Therapie, mehrwöchiger Reha-Aufenthalt

Ressourcen: Lesen, Musik machen und konsumieren, soziales Netz

 

Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren?

Im Sommer 2017 habe ich das erste Mal von einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie konkret die Diagnose „Schwere Depression mit Anpassungsstörung“ erhalten. Dem voraus gegangen waren Besuche bei verschiedenen Ärzt*innen, angefangen beim Hausarzt bis zur Endokrinologin. Körperlich war alles ok. Daher wurde ich zu guter Letzt in eine psychiatrische Fachpraxis überwiesen.

Von jetzt auf gleich war ich aus meinem Alltag herausgenommen. Was mir recht kam, da ich vollkommen überfordert war. Nach sechs Jahren pharmazeutischer und therapeutischer Begleitung wurde in weiteren Tests ebenfalls ein ADS diagnostiziert, den ich seitdem mit Medikamenten behandele.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Ich habe gerade eine 7-wöchige psychosomatische Reha durchlaufen. In Vorbereitung darauf habe ich bereits sehr transparent mein Umfeld über meine Krankheit informiert. Ich bin selbstständig und mir war wichtig, meinen Kunden zu vermitteln, warum ich ausfalle. Weil es eben kein Tabu-Thema mehr sein darf. Weil auch diese Krankheiten zum Leben manchmal dazu gehören.

Im Rahmen immer weiterführender Recherchen zu meinem Krankheitsbild und anhängigen Symptomen bin ich dann auf #Mutmachleute gestoßen und möchte gerne dazu beitragen, im größeren Kreis gegen die Tabuisierung anzugehen.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft) in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?

Es gab eine breite Palette von Reaktionen. Ich bin sehr dankbar, dass der Großteil offen damit umgegangen ist. Es gab auch einige Rückmeldungen von anderen Betroffenen, die bisher nicht offen damit umgegangen sind und durch meine Transparenz Mut finden konnten. Leider gab es auch Menschen in meinem Umfeld, die das Thema gerne ausblenden und nicht darüber reden können. Auch gab es Menschen, die psychische Krankheiten als solche nicht wahrhaben möchten.

Ich wünsche mir, dass es ok sein darf, psychisch krank zu sein. Dass ein Bewusstsein entsteht, dass sowohl Depressionen als auch AD(H)S mit Symptomen einhergehen, die nicht bewusst steuerbar sind. Ja, es ergeben sich daraus unter Umständen schwierige Situationen. Es würde helfen, dass ein Grundverständnis vorliegt, dass dies eben nicht bewusst und mit Absicht geschieht. Es geht nicht darum, dass jemand alles vollumfänglich nachvollziehen kann. Man darf ratlos bleiben. Überrascht. Überfordert. Aber eben verständnisvoll.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Die Erkenntnis, dass es sehr viele Menschen gibt, denen es ähnlich geht. Dass Zusammenhänge im Bereich psychischer Krankheiten sehr komplex sind.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Das kann ich aktuell noch gar nicht genau benennen. Ich habe in meiner Reha angefangen, Methoden und Ressourcen zu entwickeln und zu benennen. Jetzt gilt es das in den Alltag zu übernehmen.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Du bist OK, so wie du bist! Bleib offen für neue, andere Behandlungsansätze.

Reden hilft. Immer.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Auch wenn es schwerfällt – bleibt verständnisvoll. Nichts, was ein Betroffener macht, geschieht aus böser Absicht. Übe dich darin, das Verhalten des Betroffenen nicht auf dich zu beziehen. Such dir andere Angehörige und tausche dich aus. Biete dem Betroffenen deine Hilfe an, ohne alles für ihn übernehmen zu wollen.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin sehr idealistisch und möchte die Welt um mich herum zu einem besseren Ort machen. Ich schätze an mir ein starkes Einfühlungsvermögen, was es mir mitunter aber auch schwer macht mich abzugrenzen.