Depressionen: Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten, weitermachen!

Betroffene: Nadine

Jahrgang: 1975

Diagnose: Rezidivierende Depressionen

Therapien: Aktuell medikamentös und Psychotherapie, bisher einmal Tagesklinik

Ressourcen: Handarbeiten, Spaziergänge, allgemein schöne Erinnerungen schaffen

 

 

Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren?


Vor deutlich über 14 Jahren wurde das erste Mal durch meinen Hausarzt ein Burn Out Syndrom diagnostiziert. Ich war immer so müde und lustlos und mein damaliger Hausarzt hat die Problematik zum Glück erkannt. Vor ca. 7 Jahren kamen mehrere Einschnitte in meinem Leben, die mich richtig tief in die Depression mit suizidalen Gedanken gezogen haben. Ich habe mir sofort einen Psychiater gesucht, hatte Glück, schnell einen zu finden, der mich umgehend in die Tagesklinik überwiesen hat. Nach 6 Wochen dort und schon einiger „Vorarbeit“ durch mich ging es mir wieder gut. 2018 starb meine Mutter, 2019 mein Vater. Meine Familie war weg, mit jedem Tod zerbrach auch eine der ohnehin wenigen Freundschaften. Nach der Phase des „Funktionierens“ (Nachlass musste ich komplett alleine regeln), kam dann der langsame Rutsch immer tiefer in die Depression. Die suizidalen Gedanken nahmen wieder zu. Corona und der Krieg in der Ukraine waren dabei auch Faktoren. Ab Anfang 2022 ging es mir so schlecht, dass ich mich wieder auf die Suche nach einem Therapeuten machte, diesen nach 6 Wochen fand (was ein Glücksgriff ist) und zum ersten Mal habe ich Antidepressiva verschrieben bekommen, die glücklicherweise fantastisch angeschlagen haben. Stand heute, nach erst 2 Monaten mit Tabletten geht es mir gut.

 

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Psychische Erkrankungen werden immer noch zu sehr tabuisiert. Es gibt viel zu wenige Therapieplätze. Niemand muss sich für eine psychische Erkrankung schämen, es schämt sich ja auch niemand für ein gebrochenes Bein oder eine Krebserkrankung.

Gerade bei psychischen Erkrankungen ist es so wichtig, sich nicht damit allein zu fühlen und ich weiß, dass viele Betroffene einfach nicht die Kraft haben, um für sich und die Akzeptanz ihrer Erkrankung zu kämpfen. Daher ist es so wichtig, dass andere (Betroffene, Angehörige, etc.) ihr Gesicht zeigen, um für sie zu kämpfen und ihnen zu zeigen „Du bist nicht allein.“

 

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft) in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?

Mein Vater war Generation „Psychische Erkrankungen gibt es nicht, reiß Dich halt zusammen.“ Während meines Tagesklinikaufenthaltes fragte er immer nur „Was hast Du Schönes gebastelt?“ Meine Mutter hatte da deutlich mehr Verständnis und ein offenes Ohr, war aber auch selber betroffen (schwere Depressionen nach der zweiten Krebserkrankung). Am Arbeitsplatz habe ich Verständnis erfahren und gehe auch hier sehr offen mit meiner Erkrankung um. Nur wenn mein Umfeld weiß, was los ist, hat es auch die Chance entsprechend zu reagieren.

Von der Gesellschaft würde ich mir wünschen, dass mehr Akzeptanz für psychische Erkrankungen herrscht.

Es müssen dringend viel mehr Therapieplätze geschaffen werden! Die Menschen müssen ein bisschen mehr aufeinander schauen. Wenn es jemandem im Umfeld offensichtlich nicht gut geht, dann habt ein Auge auf ihn, bietet ihm ein offenes Ohr an oder einfach nur mal eine Schulter zum anlehnen.

 


Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Ich beschäftige mich viel kreativ, sei es durch malen, stricken, häkeln. Ich schaffe mir gemütliche Orte, erlaube mir, auch mal einen Tag ein bisschen durchzuhängen. Ich schaffe mir Erinnerungen durch Ausflüge, besuche gern Museen, schaue mir Kunst an.

 


Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Redet mit Eurem Umfeld, den engsten Vertrauten. Wenn es so jemanden nicht gibt (wie bei mir z. B.), sucht andere Betroffene (über soziale Medien oder Selbsthilfegruppen). Verschließt Euch nicht und macht niemandem etwas vor („Es geht mir gut“ ist eine Lüge, wenn dem nicht so ist). Euer Umfeld kann weder Rücksicht nehmen noch Euch helfen, wenn es nicht Bescheid weiß. Schämt Euch nicht! Habt keine Angst, über Eure Erkrankung zu sprechen! Ihr seid nicht schuld an Eurer Erkrankung! Sucht Euch professionelle Hilfe. Auch wenn gerade dieser Weg steinig und schwer ist, gebt nicht auf! Und vor allem: Lernt, auf Euch selber acht zu geben, ihr seid ok so wie ihr seid und ihr seid es wert, dass man Euch wahrnimmt, auf Euch Rücksicht nimmt und ihr Hilfe bekommt. Ihr seid nicht allein!

 

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Seht hin, hört zu (auch zwischen den Zeilen)! Es reicht, dem anderen zu zeigen „Ich bin für Dich da, wenn Du reden willst, dann höre ich Dir zu.“ Wertet nicht, gebt keine ungefragten gut gemeinten Ratschläge („Du musst nur mal rausgehen. Mach doch mal Sport“ etc.) Wenn sich jemand geöffnet hat, dann fragt ganz konkret: „Wie kann ich Dir helfen? Was brauchst Du?“ Schweigend nebeneinander sitzen, kann schon manchmal helfen. Es können wirklich Kleinigkeiten sein, die dem Betroffenen ganz viel helfen.

Und achtet als Angehörige auf Euch selber. Ihr helft weder Euch noch dem Betroffenen, wenn ihr Euch selber aufreibt, kaputtmacht etc. Selbstfürsorge ist sowohl für Euch als Angehörige als auch für den/die Betroffene*n wichtig.

 

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin sensibel und empathisch, das ist Segen und Fluch. Denn durch diese Eigenschaften wird meine Depression begünstigt. Aber ich mag diese Eigenschaft sehr an mir. Ich bin hilfsbereit (manchmal ein bisschen zu viel und werde dadurch evtl. oft ausgenutzt) und ich kann Ungerechtigkeit etc. nicht ertragen