Depressionen: Keine Aufgabe ist unlösbar.
Betroffene: Adelina Witt
Jahrgang: 1998
Diagnosen: Depressionen; Essstörung, Psychosen; PTBS, Psychosomatische Erkrankungen;
Therapien: Selbsthilfegruppe „Selbstwert“, (Einzel-)Verhaltenstherapie
Ressourcen: Schreiben, Lesen, Zeichnen, Klavier spielen
Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?
Vor ca. 1 ½ Jahren hatte ich dauerhaft Kopfschmerzen, so heftige Kopfschmerzen, dass ich nicht gehen konnte, mich nicht bewegen konnte, nicht essen konnte. Ich habe bei einer Größe von 1,60m und 67kg in diesen Monaten über 15kg abgenommen, weil ich mich vor Schmerzen nicht rühren konnte. Ich bin monatelang nicht arbeiten gegangen und konnte für meine bevorstehende Berufsschulabschlussprüfung nicht lernen. Die Ärzte konnten sich meine Schmerzen nicht erklären, haben nach einem Tumor in meinem Kopf gesucht, der vielleicht irgendwo hindrückt. Gehirnströme wurden gemessen und mein Kopf wurde beinahe auseinander genommen. Bis ich eine Neurologin/Psychiaterin gefunden habe, die mir Migräne und eine Depression sowie PTBS diagnostiziert hat. Erzählt habe ich niemandem irgendwas. Ich habe Tabletten bekommen und durfte gehen. Ich habe immer noch Kopfschmerzen. Bereits mit 15 Jahren begann ich mit selbstverletzendem Verhalten – ob dies noch eine Rolle spielt, weiß ich nicht.
Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?
Ich möchte mir selbst helfen und herausfinden, ob ein Tagebuch oder ein Interviewfragebogen mir helfen können, mich besser zu fühlen. Und
es gibt so viele, denen es so geht wie mir – vielleicht kann ich ihnen auch helfen.
Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?
Meiner Mutter habe ich es vor ein paar Wochen am Telefon erzählt und ihre Reaktion war lediglich: „Aha“. Der Rest meiner Familie weiß nichts davon.
Meine Mutter hatte damals aber auch meine Arme kontrolliert und jedes Mal geweint. Gewünscht hätte ich mir dieses Mal, dass sie nachfragt, was das bedeutet und wie sich das anfühlt.
Meine Chefin hat gesagt, ich soll mich nicht so anstellen und mir Ausreden ausdenken, weshalb ich nicht so leistungsfähig bin oder wieso ich nicht fröhlich bin. Sie sagte, ich sei dumm und nicht liebenswert und ich solle endlich aufhören zu denken, dass es nur mir schlecht ginge; und mir Schwachsinn einzureden. Und eine Therapie würde schwierig werden, dazu müssten wir das Arbeitsverhältnis auflösen. Ich solle sofort die Medikamente absetzen. Gewünscht hätte ich mir nur Verständnis, vielleicht ein „ok, ich weiß Bescheid, danke.“ Nicht viel mehr. Aber mir zu sagen ich wäre dumm und nicht liebenswert, ist kein Verständnis.
Mein Freund hat mir daraufhin eröffnet, dass er von der Borderline Persönlichkeitsstörung betroffen ist und Depressionen hat. Er sagte, dass es nicht einfach wird – aber wenn wir Rücksicht auf einander nehmen, wird das schon klappen. Und er ist seitdem mein Fels in der Brandung, egal wie sehr ich von der Rolle bin. Er hat als einziger so reagiert, wie es für mich völlig in Ordnung war. Er hat sich nicht von mir distanziert oder mich verurteilt. Er hat es hingenommen und sich mir geöffnet, sodass ich mich ihm immer mehr öffnen kann.
Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
Das ständige Wiederholen in den Gruppensitzungen „Ich bin Lina und ich habe PTBS und Depressionen“. Es immer wieder laut auszusprechen und drüber viel zu lesen, das Verhalten zu erkennen und zu bemerken, dass ich mich wegen der Krankheiten so verhalte.
Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?
In den schlimmsten Zeitpunkten hilft mir drei Mal tief ein- und auszuatmen und mir klar zu machen, dass alles irgendwann vorbei ist. Ich versuche mich an einem Buch und lese selber sehr, sehr viel, zeichne etwas oder male Mandalas aus. Auch ruf ich öfter meine Mutter an, die kann mich auch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Wir bekommen nur Aufgaben gestellt, die wir auch alle überwinden können. Wir sind nicht schwach, die Krankheiten machen uns nur noch stärker, weil wir neben unseren Lasten noch die Krankheiten auf unserem Rücken tragen.
Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?
Bitte versucht es zu verstehen, informiert euch, redet mit den Betroffenen darüber. Krankheiten kann man sich nicht aussuchen, das redet man sich nicht ein und man ist nicht ein bisschen traurig. Bietet Hilfe an, sucht Hilfe zusammen und bitte bleibt ruhig.
Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?
Ich bin sehr empathisch, ich verstehe Menschen ohne das sie was sagen müssen. Ich verstehe was sie fühlen, wie sie sich fühlen und was der Grund dafür ist (meistens). Und ich bin offen für andere Menschen, ich habe keine Scheu auf andere zuzugehen und zu reden, ich habe keine Angst vor anderen Menschen, vielleicht weil ich sie verstehe ohne sie kennen zu müssen.
Die Autorin findet Ihr auch auf Instagram: adelina.witt