Der innere Skeptiker
Wenn Zweifel an uns nagen, kann aus Zweifel schnell Verzweiflung werden. Und aus Verzweiflung ergeben sich meistens keine guten Perspektiven für ein gutes Handeln oder Reagieren. Wenn der Mensch beginnt, nur noch an sich selbst zu zweifeln, an der eigenen Entscheidungs- oder Wahlfreiheit und an der Selbstbestimmung – dann führt ihn das meistens in eine Sackgasse.
In der Psychotherapie wendet man sich dem inneren Skeptiker zu. Man hinterfragt seine Motive, seine Herkunft und Mechanismen, weil er zu dominierend wird, und er den erwachsenen Menschen in eine ungünstige Lage bei der Bewältigung von Alltagsfragen oder Gefühlen lenkt.
In der Schematherapie gilt es, dysfunktionale Bewältigungs-Modi zu ändern. Diese fungieren wie eine innere Stimme. Dabei wird zwischen einem abwertend-bestrafenden und einem fordernden Eltern-Modus differenziert. Wenn ich z.B. mir selbst gegenüber eine abwertende, bestrafende, verletzende oder vernachlässigende Haltung einnehme, dann befinde ich mich im sogenannten abwertenden Eltern-Modus. Beim fordernden Eltern-Modus stelle ich überhöhte Anforderungen an mich selbst, die nicht oder nur schwer zu erfüllen sind. Dieser Modus, der die nagende Skepsis mit einschließt, kann nahezu übermächtig werden, sodass adäquate Reaktionen in diesem Zustand nicht mehr zu erwarten sind.
Ein anderes, etwas antiquiertes Modell, das auch etwas mit dem inneren Skeptiker zu tun hat, ist das Über-Ich aus dem Drei-Instanzen-Modell von Sigmund Freud. Es repräsentiert durch Erziehung erworbene soziale Normen, Werte, Gehorsam, Moral und Aspekte des Gewissens. Fehlverhalten, das diesen anerzogenen Normen nicht entspricht, führt zu Minderwertigkeits- und Schuldgefühlen.
Bei diesen nur beispielhaft genannten Modellen sieht man recht schnell, welche innerpsychischen Aspekte dem Skeptiker in uns alltäglich genug „Stoff zum Stress machen“ geben.
Ich glaube, wir alle kennen ihn, den inneren Skeptiker. Ich meine zu wissen, dass dieser ziemlich dominant bei uns Menschen sein kann – und dies nicht nur bei Betroffenen von psychischen Erkrankungen.
Jeder Mensch kennt Zweifel und eine damit verbundene Skepsis, die quälende Frage, ob man nun richtig handelt oder denkt. Als mein innerer Skeptiker zu fordernd, zu abwertend, zu übermächtig wurde, musste ich handeln: Ich habe verbissene Verhandlungen geführt – und ihn in seine Schranken gewiesen. Denn: 1. Ich habe, seine Motive hinterfragt. Resultieren meine Zweifel und Skepsis aus Unsicherheit heraus, aus Minderwertigkeitsgefühlen oder erlernter Hilflosigkeit? Oder haben sie Hand und Fuß und ich einen gesunden Menschenverstand? 2. Waren und sind diese Zweifel berechtigt und begründet, oder höre ich immer nur wieder die alten, internalisierten Stimmen, die mich (be)strafen, ermahnen oder quälen wollen?
Das hat mir sehr lange sehr zu schaffen gemacht. Die Folge waren Depressionen und Manien, Anspannungszustände, die ich nur mit selbstverletzendem Verhalten kompensieren konnte, paranoide Ideen und in besonders schlimmen Zeiten hörte ich sogar Stimmern, die mir nur Negatives einreden wollten, denen ich zuweilen nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Entweder rannte ich geradewegs in eine Manie (mit so einigen Konsequenzen), oder ich schlitterte abwärts in den Strudel der Verzweiflung – und um so mehr „wusste“ mein innerer Skeptiker noch einen draufzusetzen: „Da haben wir es ja wieder! Deine Zweifel sind begründet. Du bist schwach / dumm / unfähig / asozial!“
Nach vielen Übungen in therapeutischer Begleitung, in der ich meinen inneren Skeptiker zu Wort kommen lassen musste, ihn analysieren und hinterfragen lernte, strecke ich heute (und meistens gelingt es mir) diesem Skeptiker die größte Waffe entgegen, die ich habe: Realitätschecks.
Damit habe ich dysfunktionale Schemata, also Muster, die sich wiederholen in Gedanken und Gefühlen, durchbrochen (so unter anderem auch das Schwarz-Weiß-Denken). Pauschalierenden, generalisierenden Gedanken habe ich damit die Macht nehmen können und durch rationalere ersetzt.
Es war sicher nicht immer einfach, und solch ein Prozess will Weile haben. Aber ich will Mut machen:
Ich habe den Prozess gewonnen. Ich kann fortan diesem inneren Skeptiker die Stirn bieten. Es braucht Geduld, Übung und auch mitunter die Hilfe von anderen Menschen.
Natürlich lugt mein innerer Skeptiker manchmal noch durch die Vorhänge zu mir herein. Ich muss ihn ernstnehmen, immer wieder, weil ich dadurch lerne, zu unterscheiden, wann er hilfreich sein kann und wann nicht. Denn: in Maßen kann eine gesunde Portion Skepsis auch ein Ratgeber sein, genauer hinzusehen, vielleicht nicht zu impulsiv zu reagieren, oder vermeintliche Tatsachen ungeprüft zu akzeptieren.
Zugegeben: Manchmal schaffe ich es noch nicht ganz alleine, ihn zu beseitigen, und er beginnt, trotz aller Übungen, Skills und kognitiven Methoden, übermächtig zu werden. Er droht, mich in alte Muster zurückzuwerfen.
In solchen Krisensituationen darf ich auf Menschen zurückgreifen, denen ich vertraue und die mit mir gemeinsam die Realititätschecks machen. „Du hast dieses und jenes geschafft. Wieso glaubst du, dieses und jenes nicht auch in Angriff nehmen zu können?“ Oder: „Du bist nicht daran schuld, dass dieses oder jenes passiert ist, die Tatsache xy spricht nämlich dagegen.“ Oder: „Du bist nicht allein. Sieh dich einmal um, wer alles an deiner Seite steht, wer dich liebt, achtet und wertschätzt – auch, weil dir diese und jene Qualitäten innewohnen.“ Oder: „Deinen Kindern geht es fantastisch. Sie lieben Dich. Schau mal, wie selbstbewusst sie sind. Du bist keine Rabenmutter.“
Wer kann dann solchen Argumenten noch etwas entgegensetzen? Mein innerer Skeptiker jedenfalls nicht mehr. Der Prozess hat sich gelohnt!
Text: Tina Meffert
Foto: privat