Die liebe Liebe

„Du kannst ja überhaupt keine richtige Beziehung führen!“

„Mit Deinen Problemen solltest Du Dich erstmal um Dich selbst kümmern.“ „In Deinen ganzen psychischen Krisen machst Du die anderen kaputt!“ „Du kümmerst Dich doch eh nicht um andere und kreist nur um Dich selbst.“ „Manisch-Depressive können überhaupt keine normalen Beziehungen führen.“

Ach ja? Ist das so, dass ich als Mensch mit einer psychischen Erkrankung keine normale Beziehung führen kann, keine Liebe geben und empfangen kann? Was ist eigentlich eine „normale“ Beziehung? Habe ich es wirklich nötig, mir Vorwürfe und ungebetene Kommentare anhören zu müssen, allein weil ich als psychisch kranke Person die eine oder andere größere Herausforderung anpacken muss? Macht mich das beziehungsunfähig? Liebesunfähig? Nicht liebenswert?

Wer mich nicht kennt, soll auch nicht über mich urteilen, und überhaupt sollte man sich im Vorfeld informieren, was die einzelnen psychischen Herausforderungen der Betroffenen angeht. Vorwürfe, Verallgemeinerungen, Vorurteile: nichts davon ist konstruktiv und schon gar keine Hilfe. Sie ersticken ein Gespräch im Keim, schon bevor ein Austausch stattgefunden hat. In Bayern sagt man: „Ja wo simma denn?“ Genau. Und wer sind wir eigentlich, gerade in diesen Zeit, pauschal über einen Kamm zu scheren ohne genauer hingesehen zu haben.

 

Stigmatisierung: Bingo.

Mich haben diese Kommentare und Pauschalisierungen immer geärgert und verletzt. Für meinen Fall gilt: Ich bin durchaus beziehungsfähig. Ich kann Liebe geben und inzwischen auch annehmen. Nicht mehr und nicht weniger als andere auch. Zugegeben: Ich kann sehr anstrengend sein. Ich bin tough, herausfordernd und manchmal impulsiv, übermütig, wehmütig oder schwermütig, nicht leicht zu überzeugen und öfters streitlustig, ich kann starrköpfig und stur oder auch mal ganz schön überheblich sein. Aber ich kann auch eine gute Zuhörerin sein, eine liebevolle Kritikerin, ich streichle und ich klebe Pflaster auf seelische Wunden, ich nehme mich zurück und bin einfach nur da, wenn man mich braucht.

Was genau unterscheidet mich mit diesen beispielhaften, nicht immer beliebten Eigenschaften von nicht betroffenen Personen? Die einen Eigenarten sind ganz in Ordnung, bei den anderen weiß ich, dass sie nicht unbedingt immer toll sind. Wenn ich dann bei den Kritiker*innen nachhakte, warum sie gerade diese oder jene Eigenschaft insbesondere psychisch kranken Menschen zuschreiben, ob sie das ein oder andere Gefühl nicht schon einmal selbst hatten – dann kam in aller Regel ein betretenes Drucksen und Kleinbeigeben. „Naja, ich dachte nur …“

 

Zähneknirsch!

Ja, ich bin nicht perfekt. Wer ist das schon? Ja, ich muss aufpassen, dass ich nicht überdrehe und dann dumme Sachen mache. Ja, ich muss aufpassen, damit ich nicht falle. Fehler habe ich viele gemacht und bin nicht davor gefeit, wieder welche zu machen. Ich habe Menschen vor den Kopf gestoßen, keine Liebe gegeben, keine Liebe bekommen, Ärger gemacht, alles zum Fenster hinausgeworfen. Ich habe alles in Grund und Boden getrampelt und dabei andere und auch mich selbst verletzt und verloren, um danach wie ein Phönix aus der Asche aufzusteigen. Für all meine Fehler – auch in Sachen Liebe – habe ich nicht ausschließlich meine Erkrankung verantwortlich gemacht; sie ist eine Erklärung, aber keine Entschuldigung.

 

Na also!

Ich bin bipolar, aber das hat nur wenig mit meinen Charaktereigenschaften zu tun, auch wenn mich meine Krankheitsgeschichte natürlich hier und da etwas geprägt hat. Aber nur weil ich bipolar bin, heißt das noch lange nicht, dass dies alles meine Person ausmacht. Die Erkrankung begleitet mich sicherlich mehr oder weniger mein Leben lang; aber sie nimmt mir deshalb nicht die Fähigkeit zu lieben und die Möglichkeit, geliebt zu werden.

Ich liebe meine Kinder und meinen Mann, meine Schwester, ich habe Freund*innen, für die ich freundschaftliche Liebe empfinde, ich liebe meinen Hund, dem ich „Ich lieb Dich“ flüstere, ganz einfach, weil es so ist. Ich sage den Menschen, die ich liebe, dass ich sie liebe. Liebe kann man auch zeigen, indem man für seine Herzensmenschen da ist, zuhört, sie umarmt, sie in Ruhe lässt, wenn sie das brauchen. Wenn es um Liebe geht, dann darf man Grenzen setzen und auch mal Fünfe gerade sein lassen.

Es ist wunderbar, wenn wir uns begegnen und lieben können, so wie wir sind. Ich bin so, und du bist so. Und ganz nebenbei: Ich habe Menschen um mich, die mich lieben, auf welche Art und Weise auch immer, so wie ich bin – mit meinen Macken und Fehlern und mit meiner Störung. An alle, die sich hier angesprochen fühlen: Ich Euch auch!

 

Der Artikel ist D. gewidmet. Du weißt schon, warum. Danke, dass es Dich gibt und ich so viel von Dir lernen darf. Immer nur Liebe für Dich.

 

Text: Tina Meffert; Foto: privat