Diskriminierung und Stigmatisierung – welche Rolle spielt die Sprache dabei?

Wahnsinn. Es ist echt irre, wie viel man sich mitunter anhören muss. Neigt man ein wenig zu Temperament, leidenschaftlichen Wutausbrüchen, spontanen Ich-mach-jetzt-mein-Ding-Aktionen oder einer gewissen Konfliktbereitschaft (gerne zwischen Mann und Frau), ergeben sich wie von selbst ganz schnell Aussagen, wie: „Spinnst du jetzt – bist du völlig übergeschnappt?“, „Du tickst ja nicht ganz richtig!“ oder wahlweise auch gerne: „Du bist ja völlig plemplem.“, „Hast du ein Rad ab? Nicht mehr alle Tassen im Schrank?“

Crazy. Ich hätte nicht gedacht, wieviele meiner Freunde und Bekannten sich in depressiven Episoden so reizvolle Ratschläge und Erwartungshaltungen gefallen lassen mussten: „Reiß dich doch mal zusammen, geh mal raus an die frische Luft!“, „Alter, du bist echt boring, mit dir kann man nix anfangen.“, „Komm mal klar, Phlegmo!“ Da glaubt man echt zu spinnen. Ich habe Freunde, die Angststörungen hatten oder haben und sich selbst immer weiter isolierten, aus Angst, sich Kommentaren aussetzen zu müssen wie: „Komm mal klar, stell dich nicht so an, das ist doch total krank, deine Angst.“

Auch ich bin schon als Freak oder durchgeknallte Psychotante bezeichnet worden. Nicht immer liebevoll und wertschätzend, wie es heutzutage mein nahes Umfeld darf. Weil ich anders war, nicht von dieser Welt, zwischendurch mal richtig gaga – von Sinnen!
Menschen, die mir nahestehen, dürfen das inzwischen, wenn es im richtigen Kontext steht. Damit sagen sie mir auf ihre Art und Weise: „Du bist anders, aber du bist okay so, wie du bist. Ich mag dich auch mit deinen Ecken und Kanten und Macken. Oder eben gerade deswegen.“. Dann darf man solche Aussagen sogar als Kompliment verstehen. Aber es ist niemals in Ordnung, beschimpft oder verletzt zu werden, schon gar nicht von Menschen ohne fundiertere Kenntnisse: „Bist du Borderline oder was?“ „Mann, bist du schizo!“

Eine psychische Erkrankung darf niemals zum Synonym für ein Schimpfwort werden.

Sind „die anderen“ durch den Wind oder ist man es selbst?

Denn irrsinnigerweise verursachen solche Begrifflichkeiten, so vulgär sie sein mögen und unreflektiert, bei ihrem Rezipienten eine Verletzung. Gerade bei immer wiederkehrenden Wiederholungen, z.B. in Partnerschaften, Familien(-systemen) oder im Vereinsheim, unter Kindern wie bei Erwachsenen, brennen sich solche Redewendungen sukzessive ein. Und ergeben irgendwann im schlimmsten Fall einen Glaubensgrundsatz: „Ich bin verrückt/ meschugge/ plemplem/ durchgeknallt/ irre/ wahnsinnig/ ohne Sinn und Verstand.“ etc.

Zugegeben: Auch ich verwende diese Wörter oft genug, um meiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen („Ich freu mich wahnsinnig auf deinen Besuch bei uns!“) oder meine enthusiastische Verachtung preiszugeben („Was für ein geistig umnachtetes Zeug twittert der Präsident da gerade?“). Aber die beziehen sich in der Regel auf Taten, auf ein Geschehen, und nicht auf die Person und ihren Charakter.

Stigmatisierung und Diskriminierung äußern sich allem voran auch im alltäglichen Sprachgebrauch. Im direkten Kontakt mit anderen Menschen wird durch eine diskriminierende Sprache eine (soziale) Distanz geschaffen und aufrechterhalten. Ausgrenzung, Mobbing und persönliche Angriffe sind aufgrund von Stigmatisierung keine Seltenheit.
Sie bezieht sich nicht nur auf äußerliche und körperliche Merkmale, sondern auch auf geistige und psychische. Abweichungen von der Norm dürfen identifiziert werden, aber sie müssen weitestgehend auch akzeptiert werden.

Beschimpfende, verletzende und diskriminierende Äußerungen, hier im Bezug auf psychisch kranke Menschen, unabhängig von ihrem Krisen- oder Genesungsstatus, sind nicht förderlich und vereinbar mit dem grundsätzlichen Verständnis, dass alle Menschen gleich sind und gleich zu behandeln und zu respektieren.

Wann ist es denn soweit, dass die Akzeptanz von Andersartigkeit, Verschiedenheit, Diversität und auch ein wenig Nonkonformismus unter uns Menschen zur Selbstverständlichkeit wird?

Solange wir uns im Selbstoptimierungswahn blind und taub durch die Welt schlagen ohne Blicke nach rechts und links;
solange wir durchgehend von Effizienz- und Leistungsgedanken getrieben sind wie die Irren;
solange wir von der Me-First-Haltung nicht wegkommen und keinen Raum und Platz lassen für Andere(s):
So lange haben wir den Blick nicht frei für die Schönheit von und die Bereicherung durch Andersartigkeit.

Soll ich abschließend mal was aberwitziges vom Stapel lassen? Was bin ich froh, ab und an mal einen Sprung in der Schüssel zu haben und laut sagen zu können: „Na und? Schau mal bei dir selbst nach, bevor du mich abstempelst. Und dann lass uns reden!“
 
Text: Tina Meffert
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