Dysthymie: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ (Albert Schweitzer)

Betroffene: Stefanie Vilsmaier
Jahrgang: 1978
Diagnosen: Dysthymie (subklinische, chronische Depression) mit rezidivierenden depressiven Episoden
Therapien: Verhaltenstherapie, CBASP (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy), Tiefenpsychologisch fundierte Therapie
Ressourcen: Arbeit, v.a. Anti-Stigma-Arbeit, die Arbeit als EX-IN Begleiterin; politische Arbeit, Musik hören, singen, Familie, Freunde, Kreativ werden (Nähen, Basteln), Natur

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

2003 von einer Psychiaterin.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Ich habe bereits 2012 entschieden, Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Meine Mutter kannte ich fast nur mittelschwer bis schwer depressiv und wir haben darüber fast nicht gesprochen. Das Nicht-Reden-Können hat mich stets mehr belastet als die Einschränkungen durch meine oder ihre Erkrankung. Ich rede, wann immer ich gefragt werde und darüber hinaus. Nur dann und wann habe ich vielleicht keine Lust für den Moment.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Zum Teil haben sie es abgetan, wollten es nicht wahrhaben bzw. schrieben es etwas anderem zu. Partner wollten mir Therapien (Antidepressiva, Psychotherapie, Psychosomatische Klinik) ausreden. Andere haben es akzeptiert, meine beste Freundin ging weiterhin ganz normal mit mir um, das war Balsam für die Seele. Auch einige Freunde zeigten Verständnis und unterstützten mich. Leider gab es auch Personen, die sich als falsche Freunde herausstellten. Es war gut zu wissen, auf wen ich bauen kann und auf wen nicht.
 Ich wünsche mir, dass mein Umfeld ganz normal mit mir umgeht und dabei die Info Depression im Hinterkopf behält. Es ist hilfreich, wenn man sich über die Krankheit informiert, sodass klar wird, dass meine Symptome (Antriebslosigkeit, leichte Reizbarkeit) keine schlechten Charaktereigenschaften (wie Faulheit oder Patzigkeit) sind. Unangebrachte und vor allem ungebetene Ratschläge sind leider gar nicht hilfreich. Gesprächsbereitschaft und offen zuzugeben, wenn man etwas nicht versteht, das ist ehrlich, authentisch und hilft mir mehr als vorschnelle ungefragte Ratschläge.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Der Kontakt mit anderen erkrankten Menschen, die Anti-Stigma-Arbeit vor allem beim Mut-Tour-Projekt, die Ausbildung und die Arbeit als EX-IN-Trainerin haben mir geholfen, die Krankheit zu akzeptieren. Vor allem aber hat mir geholfen, dass ich durch die Erkrankung und deren Bewältigung so vieles gelernt habe. Und die Erkenntnis, dass ich nicht der Mensch sein möchte, der ich ohne Depressionserfahrung wäre, war auch sehr wichtig. Ich befürchte, ich wäre dann ziemlich arrogant und unsympathisch. Andererseits ist der Gedanke wahrscheinlich müßig; ich bin nun mal die, die ich bin. Meine Geschichte macht mich zu der, die ich bin.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Ich versuche, zu akzeptieren. Mache mir klar, dass eine Situation nie bleibt. Ansonsten höre ich Musik, seile mich, wenn möglich von Verpflichtungen ab bzw. nutze diese zur Ablenkung. Je nachdem, wie schwer die Krise ist.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Ihr seid sehr viel mehr als eure Krisenerfahrung. Irgendwann kann eure Erfahrung euch Ressource sein oder ihr lernt besondere Menschen dadurch kennen. Und vergesst nicht: ihr seid nicht allein.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Eure Anwesenheit und eure ehrliche Anteilnahme ist das wertvollste, was wir von euch bekommen können. Es ist schwer, seine eigene Hilflosigkeit auszuhalten. Dennoch brauchen wir euch und euer Ohr, weniger euren Rat. Achtet auch auf euch und holt euch gern Hilfe, wenn ihr nicht weiter wisst.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Puh, ich bin in der Mitte zwischen extro- und introvertiert, meist verträglich, eher offen. Kann keinen Gag liegen lassen, bin auch mal besserwisserisch. Ich bin emotional und rational zugleich. Meine Kreativität (ungewöhnliche Wege gehen) und meine Auffassungsgabe haben mir schon oft sehr geholfen, daher schätze ich diese am meisten.