Arie Schick und Uwe Hauck im Interview zum #Psychiatriegesetz

 
Der Gesetzesentwurf zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz der bayerischen Staatsregierung wurde am 18.04.2018 dem Bayerischen Landtag vorgelegt, um in Zukunft das Unterbringungsgesetz in Bayern (UnterbrG) aus dem Jahr 1992 abzulösen. Der gesamte Entwurf ist hier nachzulesen.
Die Empörung der Fachwelt und Medien, der Betroffenen als auch nicht Betroffenen, passiert wie ein Lauffeuer die Schlagzeilen und das Internet. Zu Recht, finden die Mutmachleute: Dieser Gesetzesentwurf verfehlt sein eigentliches Ziel, psychisch kranke Menschen zu entstigmatisieren und wohlbemerkt die Unterbringungskosten der Erkrankten zu reduzieren.

Der Entwurf sieht unter anderem Vorschriften für die Exekutive des Staats vor, die an autokratische Systeme erinnern. So sollen die Befugnisse der Polizeigewalt in einer Art erhöht werden, dass sich dem bekennenden Demokratie- und Rechtsstaat-Befürworter die Haare sträuben. Der Entwurf orientiert sich am Strafrecht und am Maßregelvollzug für Straftäter und regelt die Zwangsunterbringung, u.a. „zur Gefahrenabwehr“, die von psychisch kranken Menschen ausgehen soll. Zusätzlich ist eine mehr als bedenkliche Datenspeicherung der betroffenen Personen bei Zwangsunterbringung geplant. Auf die zu Recht umstrittene Unterbringungsdatei, in der Diagnosen und Untersuchungsbefunde festgehalten werden sollen, werden in Zukunft – tritt das Gesetz so in Kraft – mehrere Behörden Zugriff haben.
 
Wir möchten die Autoren Uwe Hauck und Arie Schick zu Wort kommen lassen und aus ihrer pointierten Sicht die möglichen Konsequenzen einer solchen Gesetzesänderung schildern lassen. Uwe Hauck ist einer der beiden Initiatoren der Petition zur Änderung des Gesetzes.

 

Herr Hauck, Sie haben fundierte Kenntnisse als Betroffener einer schweren Depression und Erfahrungen gemacht in Bezug auf das Innenleben psychiatrischer Einrichtungen. Glauben Sie, dass der neue Gesetzesentwurf mit den neuen Unterbringungsmaßnahmen – träte er in Kraft – für psychisch Kranke in akuten Krisen hilfreich ist?

Dieses Gesetz dürfte es für Menschen, die zwangseingewiesen wurden, deutlich schwerer machen, ihre Grundrechte zu verteidigen. Ein Gesetz, das im Artikel 38 einem zwangseingewiesenen Patienten, der wohlgemerkt KEINE Straftat begangen hat, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Freiheit der Person aberkennen will, ist in dieser Form nicht akzeptabel. Es kann dazu führen, dass sich in Zukunft weniger Menschen helfen lassen, aus Angst, zwangseingewiesen zu werden.
 
Vorausgesetzt, ein zentrales Register mit Speicherung personenbezogener Untersuchungsbefunde und Diagnosen wird eingeführt: Welche Folgen wird dies in Zukunft für Betroffene haben, wenn es darum geht, psychologische/psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen?

Wenn ich als Patient aus einer Klinik entlassen werde, will ich wieder ein normales Leben führen. Mit dem Bewusstsein, dass Ämter und Behörden eine Liste über mich und meine Erkrankung führen, kann das für ehemals eingewiesene Patienten extrem belastend sein und sogar zu einem neuen Ausbruch führen. Schließlich wird man immer noch als potenzieller Gefährder in dieser Liste geführt.
 
An welchen Stellen wünschen Sie sich als Psychiatrieerfahrener Änderungen im Gesetzentwurf, die den Umgang mit psychisch kranken Menschen regelt? Welche konkreten Vorschläge würden Sie der Bayerischen Landesregierung machen?

Mir sind vor allem zwei Punkte wichtig:

Einmal muss mehr Wert auf Hilfe und Prävention gelegt werden als auf reine Sicherungsverwahrung. Und vor allem ist der Abschnitt bzgl.der Einschränkung von Grundrechten grundsätzlich zu überarbeiten. Das geht gar nicht.

Zudem müssen die erlaubten Maßnahmen bei Zwangseingewiesenen genau überdacht und unter Beratung durch Mediziner und Psychologen festgelegt werden. Die Maßnahmen dürfen sich nicht am Strafrecht orientieren.
 
 
Herr Schick, als Psychotraumatologe erleben Sie in Ihrer Praxis den Umgang mit (traumatisierten) Personen, die sicher oft an der Grenze ihres (Über-)Lebens zu Ihnen kommen und Hilfe in Anspruch nehmen. Was wird aus Ihrer Sicht die größte Angst der Betroffenen sein, wenn dieses Gesetz so in Kraft tritt? Sehen Sie einen möglichen Rückgang von Inanspruchnahme psychologischer Hilfe?

Das liegt eindeutig auf der Hand. Psychisch zu erkranken, sich dies erst einmal eingestehen zu müssen, zu können, ist für viele Menschen bereits ein wichtiger, oft schmerzhafter Entwicklungsschritt. Einher geht das oft mit einem Eindruck, einem Gefühl und der erschütternden weiteren Befürchtung, stigmatisiert zu werden, sozial wie beruflich. Ein gebrochenes Bein ist etwas Sichtbares, eine Depression oder der Erwerb einer PTBS zunächst einmal nicht, außer natürlich die Verläufe gehen in den psychotischen Bereich.
Ist aber erst einmal die Entscheidung gereift, von sich aus, selbst angetrieben, nach Hilfe zu suchen, braucht es mit Rücksicht auf die Rückkehr zu Gesundung von betroffenen Menschen ein akzeptierendes Umfeld, auch von staatlicher Seite.
Es klingt makaber, aber ich vermute, dass sich psychisch erkrankte Menschen, wenn sie sich Hilfe holen wollen, nicht zurückziehen werden, wenn es um ihr Überleben geht, daran wird auch Herr Söder nichts ändern. Dennoch ist es, wie es ist: Ein Schlag ins Gesicht von Betroffenen. Die Frage wäre auch, wie sich ein solches Gesetz weiterentwickelt. Stehen Aufenthalte in der Psychiatrie irgendwann im Führungszeugnis, müssen die Aufenthalte bei Bewerbungen angegeben werden, entstehen Nachteile in der Nachsorge von psychisch erkrankten Menschen…?
Übrigens ist es bereits schwer genug, eine Berufsunfähigkeitsversicherung oder eine Lebensversicherung abzuschließen, wenn psychische Erkrankungen mit zum Lebenslauf gehören.
 
Bayern plant eine Art Polizeirecht gegen psychisch kranke Menschen. Diese sollen künftig nach Regeln, die bisher nur für Straftäter galten, in Krankenhäusern festgesetzt werden können – ohne dass eine Straftat vorliegt, wegen „drohender Gefahr“.
Als Experte für die Weitergabe von Traumata über Generationen setzen Sie sich – insbesondere als Autor – für die Erinnerungskultur in Deutschland ein. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn sie an eine potenzielle Aufweichung polizeilicher Befugnisse denken?

Die Frage ist hier eher, von wem die meiste Gefahr ausgeht. Vom psychisch kranken Menschen oder von der Willkür der staatlichen Organe. Auf mich wirkt das Ganze wie ein rückwärtsgerichteter blinder Aktionismus. Oftmals gehen psychische Erkrankungen einher mit diffusen, manchmal mit realen Bedrohungserfahrungen. Das geplante Gesetz ist eine Steigerung der potenziell realen Bedrohung für jeden Erkrankten.
Eine aufgeweichte polizeiliche Zugriffsmöglichkeit auf die gesundheitlichen Hintergründe konterkariert die unterstützende Medizin. Mir persönlich kommt es vor wie der Beginn einer Rückkehr zu den bekannten Methoden der Nationalsozialisten. Damals wurden alle nicht regimekompatiblen Menschen auch in Listen erfasst, damit die Gestapo wusste, wo sie anklopfen musste.
 
Aus Sicht des Experten: Welche konkreten Änderungen wünschen Sie sich und welche Vorschläge machen Sie der Bayerischen Staatsregierung, damit psychisch kranke Menschen in Zukunft nicht – entgegen dem bekundeten Willen – noch mehr stigmatisiert werden?

Ich wünsche mir eine adäquate Unterstützung für psychisch kranke Menschen, keinen Zugriff der staatlichen Kräfte, keine weitere Stigmatisierung, keine Katalogisierung. Die politischen Energien sollten besser in ein dichteres lokales Netz der nahen Hilfen investiert werden.

Seit 1. April 2017 haben Patienten das Recht auf einen Termin in einer Sprechstunde, die ambulante Psychotherapeuten anbieten müssen. Aber selbst das ist ein Witz. Dabei handelt es sich um eine reine Notversorgung, ein Therapieplatz ist damit noch lange nicht gefunden. Das ist reine Augenwischerei und hilft niemandem. Diesem Gesetz sollte die politische Nachjustierung auf Bundesebene gelten.
 
Lieber Herr Hauck, lieber Herr Schick, die #mutmachleute bedanken sich bei Ihnen für dieses Interview.

 
Uwe Hauck ist selbst Psychiatrie-Erfahrener und geht offen um mit der Erkrankung Depression sowohl als Blogger als auch als Autor u.a. des Buches „Depression abzugeben: Erfahrungen aus der Klapse“, erschienen 2017. Aktuell hat er gemeinsam mit der Sozialunternehmerin Kristina Wilms in der vergangenen Woche die Petition „Herr Söder, stoppen und überarbeiten Sie das bayerische Psychiatriegesetz“ auf change.org initiiert, die bis zur Übergabe an die Bayerische Landesregierung am 24.04.18 am knapp 93.000 Unterschriften verzeichnen konnte. Uwe hat auch bei den Mutmachleuten einen Beitrag verfasst.

Arie Schick, Geisteswissenschaftler, Psychotraumatologe und Buch-Autor („Mama, erzähl mir vom Krieg“, erschienen 2018) und selbst Betroffener, unterstützt Menschen in Krisensituationen mittels tiefenpsychologisch fundierter Einzelgespräche zu mehr psychischer Stabilität, Selbstwertschätzung und hilft bei der Findung eines eigenen Wegs, um mit den individuellen Erkrankungen umzugehen.
 
Der Druck der Öffentlichkeit hat geholfen: Die CSU bestätigte bereits während der öffentlichen Anhörung am 24.04.2018 zum „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“, die vorgesehene Unterbringungsdatei zu streichen. Ferner wird die Verbindung zum Maßregelvollzug herausgenommen und die Hilfe für die Betroffenen soll konkreter ausgearbeitet werden.
 
Fotos: privat
Text: Das Interview führte Tina Meffert.