Forderungen des Mutmachleute e.V. an die neue Bundesregierung

Der Mutmachleute e.V. bezieht Stellung zu der im Koalitionsvertrag der Bundesregierung geplanten Entstigmatisierungskampagne im Hinblick auf psychische Erkrankungen. Diese befürworten wir ausdrücklich. Hierbei muss auch die Stigmatisierung eingebunden werden, unter der die Angehörigen leiden.

 

Auch das Jahr 2021 war geprägt von kleineren und größeren Katastrophen, von schlimmen Schicksalen hierzulande und weltweit. Wir stehen vor großen Herausforderungen auf der ganzen Welt: Klimakrise, Hungersnöte, Naturkatastrophen, Kriege, Diktaturen, Gefährdung der Demokratie in vielen Ländern … Und das Ende der Pandemie, die global Millionen Menschenleben kostet und Gesellschaften spaltet, ist nicht abzusehen.

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie betrafen Familien (v.a. Alleinerziehende) und Kinder sowie Menschen mit psychischen Herausforderungen auf besondere Weise. Von pandemiebedingten Belastungen sind Kinder und Jugendliche in der Regel deutlich stärker betroffen, und so fordern auch wir, dass die besondere Vulnerabilität von Kindern und Jugendlichen politisch mit bedacht werden muss in Zukunft!

Die psychischen Belastungen, die Zunahme häuslicher Gewalt und Femiziden, die Traumatisierung durch Covid-19 Todes- und Erkrankungsfälle im eigenen Umfeld und die erschreckende Zunahme psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und Essstörungen bei jungen Menschen sind nicht nur ein Alarmsignal. Sie fordern zu umgehendem Handeln auf, wenn wir einen Teil der jungen Generation nicht verlieren wollen.

Menschen mit psychischen Erkrankungen, körperlichen und/oder geistigen Einschränkungen, Menschen in Pflegeeinrichtungen, in sozialpsychiatrischen Einrichtungen, Psychiatrien oder betreutem Wohnen – sie alle hatten und haben gerade in der Corona Pandemie besonders leiden müssen. Viele haben ihre Strukturen und Ansprechpersonen verloren.

Der Pflegenotstand zeigt sich insbesondere in den Kliniken. Der Fachkräftemangel, der eine gute Versorgung der Patient*innen sehr, sehr schwierig macht, ist besorgniserregend. Die Zukunft der Profession Pflege, ob im stationären oder ambulanten Bereich, und damit die Zukunft der Versorgungslage einer stetig alternden Gesellschaft, ist nicht mit Beifall und warmen Worten gesichert. Dem Fachkräftemangel bspw. in der Pflege, der Jugendsozialarbeit oder im psychosozialen Bereich muss massiv entgegengewirkt werden. Denn: Die Professionen im Gesundheits- und Sozialbereich sind systemrelevant!

 

Es gibt also viel zu tun.

Der neuen Bundesregierung stehen hohe Anforderungen und Herausforderungen gegenüber. Und so viele Maßnahmen sind für mehr Selbstbestimmtheit, Inklusion und gleichberechtigte Teilhabe dringend umzusetzen. Wir wollen hier nur einige nennen, die sich insbesondere auf die Situation von Menschen mit psychischen Erkrankungen beziehen; die Liste wäre um ein Vielfaches zu ergänzen:

  • Unterstützung der Schulen, Beratungsstellen und weiteren Anlaufstellen durch mehr Schulpsycholog*innen und Sozialarbeiter*innen,
  • Gesundheitsförderungs- und Präventionsangebote flächendeckend ausbauen,
  • Flächendeckende bundesweite Anti-Stigma Kampagnen,
  • Gute und sektorenübergreifende psychotherapeutische Versorgung ohne lange Wartezeiten erreichen,
  • Komplexen Bedarfen von psychisch Erkrankten besser gerecht werden,
  • Adäquate Personalbemessung in psychiatrischen Kliniken und Finanzierung der Personalkosten,
  • Bedarfsgerechte ambulante und stationäre Versorgung von Kindern psychisch und suchtkranker Eltern,
  • Mehr Unterstützung und Angebote für Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen und/oder Behinderungen,
  • Mehr Versorgungs- und Beratungsangebote für traumatisierte Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund,
  • Verringerung von Ungleichheiten bspw. bei Gesundheits- und Bildungschancen bewirken,
  • Mehr Partizipationsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen, Barrierefreiheit auch im privaten Sektor, mehr digitale Teilhabe,
  • Konsequente menschenrechtsgeleitete Politik und die Einführung der Kinderrechte ins Grundgesetz,
  • Geschlechtergerechtigkeit vorantreiben

Die neue Bundesregierung erwähnt in ihrem Koalitionsvertrag eine geplante Entstigmatisierungskampagne im Hinblick auf psychische Erkrankungen – dies befürworten wir ausdrücklich. Hierbei muss auch die Stigmatisierung eingebunden werden, unter der die Angehörigen leiden.

 

Wir fordern, dass

  • die Konzeption NICHT NUR einer Werbeagentur überlassen wird mit der Entwicklung von ein paar Hochglanzplakaten, gestellten Videos oder Postkarten,
  • alle Akteur*innen im Bereich der Antistigmaarbeit in die Entwicklung einer solchen Kampagne eingebunden werden,
  • Menschen, die aktiv sind in der Inklusionshilfe, eingebunden werden,
  • Peer-Berater*innen, Genesungsbegleiter*innen, pflegende Angehörige, Betroffene, medizinisches Personal aus der ambulanten und stationären Versorgung, Sozialpädagog*innen, Jugendsozialarbeiter*innen, uvm. ebenfalls mit einbezogen werden.

 

Text: Tina Meffert