PTBS, Depressionen und Angststörung: Mein inneres Kind will Liebe, der Teenie in mir Rache und mein erwachsenes Ich Frieden.

Betroffene: Natalie

Jahrgang: 1984

Diagnosen: PTBS, rezidivierende Depression, Angststörung

Therapien: vier Monate auf der psychiatrischen Station, anschließend drei Monate Tagesklinik. 1,5 Jahre hat es gedauert um einen Termin bei einer Psychologin zu bekommen

Ressourcen: Lesen, Gartenarbeit, kreatives Schaffen jeglicher Art

 

Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren?

Schon als Jugendliche habe ich mich selbst verletzt und hatte Phasen von „starker Traurigkeit“ (ich nenne das so, da ich das damals nicht als Depression wahrnahm bzw. ja überhaupt nicht kannte) und das zog sich durch mein komplettes Leben. Am 31. Juli 2022 (ich war mittlerweile 37 Jahre) stand ich an einem sonnigen Tag, umgeben von Vogelgezwitscher und Teichplätschern in meinem Garten. Ich spürte jedoch weder die Wärme, noch nahm ich das Zwitschern und Plätschern war. Ich stand steif da und wünschte mir in dem Moment nichts sehnlicher als tot umzufallen. Binnen Sekunden brach ich zusammen und realisierte recht schnell das das gerade nicht gesund war und rief unter einer Panikattacke meinen Bruder an, er fuhr mich in die Notaufnahme. Nach zwei Wochen Klinikaufenthalt war nach vielen Gesprächen nicht nur für Ärzte, sondern auch für mich klar: Ich habe Depressionen aufgrund von PTBS. Begleitet wird das ganze von einer Angststörung.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Ich selber habe das Thema sogar lange tabuisiert, nicht aus Schamgefühl sondern einfach weil noch nicht die nötige Kraft hatte. Mittlerweile habe ich einen kleinen Weg gefunden mich zu öffnen, indem ich über mein Leben mit psychischen Erkrankungen in einem kleinen Blog schreibe. Ich möchte unter anderem einen Teil dazu beitragen, das psychischen Erkrankungen mehr Beachtung geschenkt wird, denn nach meiner Diagnose war schnell klar – die Menschen um mich herum wissen viel zu wenig über solche Krankheiten und der Umgang mit solchen ist teilweise erschreckend. Mir fehlte nach der Klinik der Halt und die Menschen, die mich dort verstanden haben, fielen plötzlich weg.

Ich möchte Betroffenen Mut machen und dem Stigma ein Ende setzen. Ich bin sehr froh eure Seite über einen Blog gefunden zu haben.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft) in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?

Das ist ein sehr schwieriges Thema, bis heute (zwei Jahre nach der Diagnose). Es wird erwartet, dass man nach zwei Wochen „Rückzug“ doch wohl wieder gesund ist. Sobald ich mal ein paar Tage gut drauf bin, muss ich direkt wieder alles von vorne erklären, wenn ich wieder in das tiefschwarze Loch falle. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als dass mein Umfeld wie auch Gesellschaft endlich begreift, dass auch die Psyche wie ein Zeh gebrochen werden kann. Wenn man als Kind zB. das Vertrauen verliert, ist das bis ins Alter wie als hättest du dir sämtliche Knochen gebrochen – HEILUNG DAUERT!!!!

Das Umfeld will immer unbedingt „verstehen“, vorher findet selten Akzeptanz oder unterstützend heilender Umgang statt. Aber nun ist es doch so, wer noch nie in einem Cockpit gesessen hat, kann nun einmal schwer verstehen wie es sich als Pilot anfühlt. Akzeptanz und ein wenig Mitgefühl wären schon Gold wert auf dem Weg der Heilung.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Gespräche mit Betroffenen haben mir sehr geholfen. Mein Bezugspfleger in der Klinik war mein wichtigster Halt dort. Die Gespräche mit ihm gaben mir sehr viel, denn er war wertfrei, gab keine Ratschläge wenn ich nicht danach fragte, sondern hörte einfach zu und stellte mir hier und die richtigen Fragen. Nach der Klinik habe ich sehr sehr viel gelesen. Bücher, Beiträge, Blogs und und und … Jedoch neben der Selbsttherapie ist die psychologische Psychotherapie ein sehr wichtiger Bestandteil. Ich hadere noch heute oft damit zu akzeptieren, dass ich einfach nicht mehr funktioniere wie vor der Erkrankung. Zu oft noch lasse ich mich von außen dazu bringen zu glauben, dass ich MEHR können MUSS. Ich stecke noch mitten drin.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Ich habe bis dato leider nur ein Mittel für mich gefunden was mir sogar Freude macht. Das Schreiben tut mir gut, der geschriebene Wochenrückblick lässt mich leichter in mich reinfühlen,  als wenn ich nur darüber nachdenke. Der Perspektivenwechsel ist oft nützlich wenn man wieder nur Schwarz sieht. Um Ressourcen zu finden und zu nutzen, muss man sich selbst schon gut kennen, das dauerte bei mir eine Weile. Wenn ich jedoch die Frühwarnzeichen nicht erkenne, dann falle ich tief.
Folgende Dinge sind zudem für mich wichtig:

  1. Ich nehme mir Auszeiten wenn ich sie benötige.
  2. Ich sage Verabredungen ab wenn es mir nicht gut geht.
  3. Ich weine und lass alles raus wenn ich innerlichen Druck verspüre (das ist wie ein Ventil).
  4. Den Haushalt lass ich sein wenn es nicht geht.
  5. Ich versuche darüber zu reden.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Habt keine Angst Euch Hilfe zu suchen. Es ist keine Schande direkt ins Krankenhaus damit zu gehen. Eine Depression – seht die Krankheit nicht als eine Feindin an oder als etwas das man „loswerden“ muss an. Eine Depression ist eine Art Freundin, die Euch stark darauf aufmerksam macht, dass Ihr mehr auf Euch achten solltet, Eure aktuelle Lebenssituation beleuchtet und/oder dass es da etwas gibt, was achtsam geheilt werden muss und …  gebt Euch vor allem Zeit zum Heilen.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Ihr müsst nicht nachvollziehen können, wie sich eine psychische Krankheit anfühlt, um helfen zu können.
Habt keine Vorurteile, übt keinen Druck aus und habt einfach ein offenes Ohr.
Lasst Floskeln wie „Was ist denn nun wieder?“ oder „Ist das noch immer nicht vorbei?“

Das ist so unglaublich schmerzhaft, denn Ihr vermittelt dem Betroffenen das etwas mit ihm/ihr wohl nicht stimmt. Informiert Euch. Ihr könnt mit kleinen Dingen schon so zur Heilung beitragen oder aber auch in der Heilung ausbremsen.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin eigentlich schon immer ein offener und positiver Mensch gewesen, der sehr gern für andere da ist. Ich hoffe eines Tages so weit und so gut mit meiner Erkrankung leben zu können, um anderen Betroffenen wiederum helfen oder gar begleiten zu können. Mittlerweile verfluche ich meine Empathie und hochsensible Seite nicht mehr.

Ich weine eben schnell und lass es raus. Ich leide halt auch mit den Protagonisten in Filmen mit oder fühle den Liebeskummer meiner Tochter, als würde ich selber drin stecken.

Aber ich kämpfe noch immer, jeden Tag aufs Neue und finde noch immer heraus wer ich bin und was die Nati in mir will und was sie ausmacht.

 

Nati hat einen Blog und sie ist neu auf Instagram.