Über die Wichtigkeit von Angehörigen für psychisch kranke Menschen

Über die Wichtigkeit von Angehörigen für psychisch kranke Menschen

 
Wenn wir von der – in der Gesellschaft längst überfälligen – Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen oder temporärer psychischer Krisen sprechen, sollten wir auch ein Augenmerk auf die Angehörigen legen und ihren ungemein wichtigen Anteil daran. Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen, die sich diesem Menschen widmen, leisten einen ganz wichtigen Beitrag: Sie stehen zu ihren betroffenen Angehörigen, ungeachtet dessen, ob es sich um Lebenspartner, Kinder, Freunde, Kollegen oder Nachbarn handelt. Angehörige sind wahre Mutmacher, denn ihre Liebe, Loyalität und ihr Mut wirken der Stigmatisierung entgegen und können Wunder bewirken: Schritte zur Heilung bei den Betroffenen.
 
Halten wir uns vor Augen: Für Angehörige ist es – zumindest anfangs – nicht leicht, wenn eine nahestehende Person in eine psychische Krise gerät oder aufgrund einer psychischen Erkrankung längerfristig nicht mehr so am Leben teilhaben kann, wie es vorher möglich war. Sie können an ihre Belastungsgrenzen kommen. Oft genug verstecken die Betroffenen lange Zeit ihren Leidensdruck, versuchen hochfunktional in Arbeitswelt und Privatleben zu sein – bis es eben nicht mehr geht: weil einer „lächelnden“ kaschierten Depression ein schwerer Zusammenbruch folgt, weil eine psychotische Episode die Welt des Betroffenen ebenso wie die der Angehörigen aus den Fugen geraten lässt oder, wenn eine Angststörung so massiv wird, dass das Gefühl der Ohnmacht alles und alle beherrscht; es ließen sich zahllose weitere Beispiele aufführen. Nicht zuletzt aus Unwissenheit über psychische Erkrankungen und durch die, Konfrontation mit ihren Symptomen sind Angehörige oftmals im ersten Moment überfordert. Und – dies ist der traurige Fall – distanzieren sich deshalb, im schlimmstenfalls von den Betroffenen.
 

Hilfe für Angehörige

Dass sie selbst Hilfe in Anspruch nehmen können und sollen, wissen anfangs die wenigsten. Dabei sind sie es oft in gleichem Maße, die Unterstützung benötigen, zunächst im Sinne der Psychoedukation (Aufklärung und Vermittlung von Wissen über die Erkrankung). Im nächsten Schritt geht es um den zukünftigen Umgang mit den Betroffenen.

Sehr hilfreich und sinnvoll ist es für den Angehörigen, wenn er den Betroffenen zum Facharzt, Psychotherapeuten oder zu einer Beratungsstelle begleitet. Die Inanspruchnahme von möglicherweise sogar einigen eigenen therapeutisch unterstützenden Stunden bei einem Therapeuten oder der Besuch einer Selbsthilfegruppe für Angehörige bieten ebenfalls eine sinnvolle Unterstützung. In einer Angehörigengruppe kann man sich in geschützter Atmosphäre austauschen: wie gehen andere mit ihrem/r PartnerIn, FreundIn, KollegIn um, welche Dinge haben geholfen, die Krankheit zu akzeptieren, wie kann ich unterstützen? Wo liegen die Grenzen meines Verantwortungsbereichs – wann muss ich mich sogar selbst schützen? Wie kommuniziere ich gut in schwierigen Zeiten oder Konflikten? Wann darf ich „Nein!“ sagen? Welche Ressourcen habe ich, um für mich Selbstfürsorge zu betreiben? Wie kann ich neuen Mut bekommen? Dies alles sind wichtige Fragen, deren Beantwortung Angehörige oft sehr lange für sich suchen müssen und sich nicht selten im Stich gelassen fühlen vom Umfeld.
 

Aus eigener Erfahrung: Von der Wichtigkeit der Angehörigen

Aus eigener Erfahrung und von all jenen Betroffenen aus meinem Umfeld weiß ich, wie wertvoll und lebenswichtig Angehörige sind. Auch traurige Geschichten wurden mir berichtet, von Freunden, die sich distanzierten, Kollegen, die sich abwendeten, von Arbeitsverhältnissen, die endeten, da wenig Verständnis oder gar – und hier sind wir bei der Stigmatisierung – Ängste oder Scham zu einem Kontaktabbruch führten. Man hat mir davon berichtet, dass man sich nicht austauschen könne, da das unmittelbare Umfeld „damit“ nichts zu tun haben wolle. All diese Erzählungen und Schicksale bestärken mich nur noch mehr, Herzblut in dieses Projekt zu legen:

Niemand darf stigmatisiert werden, weil er/sie selbst erkrankt ist oder weil er/sie zum erkrankten Partner, Kind, Freund, Kollegen, Familienmitglied oder Nachbarn steht. Niemand!

Ich selbst habe Glück gehabt: Mein Mann trägt mich über die Jahre, er ist mein Anker, mein Halt, mein größter Kritiker und mein bester Freund. Ohne ihn hätte ich meine Erkrankung nicht in dem Maße stabilisieren können, wie ich es inzwischen vermag. Weil er immer zu mir steht. Weil er immer für mich da ist. Weil wir offen und ehrlich sind in jeder Beziehung und uns gegenseitig vertrauen. In meinen psychisch labilen Phasen lenkt er gegen die hypomanischen Tendenzen und setzt Grenzen, er holt mich vom Höhenflug zurück, bevor die unausweichliche Bruchlandung kommt. In depressiven Zeiten ist er da, übernimmt Dinge, die ich nicht schaffe, er führt Realitätschecks für mich durch, wenn ich dazu nicht mehr in der Lage bin. Nie, niemals hat er mich verurteilt. Selbstverständlich ist dies manchmal belastend für ihn, aber

seine Zuversicht, dass es besser wird, das Wissen, dass ich an mir arbeite und – nicht zuletzt – die Liebe helfen, das alles auszuhalten und immer nach vorne zu sehen.

Gleiches gilt für meine Kinder, Freunde, Kollegen und das nähere Umfeld. Ich darf so sein, wie ich bin, und ich muss mich nicht verstecken, ich muss mich nicht schämen, ich rede darüber, wenn jemand mich fragt. Dafür bin ich dankbar, jedem Einzelnen, der sich hier wiederfindet. Jene, von denen ich mich bewusst distanzierte oder die mich verlassen haben, vermisse ich nicht. Sie haben mir nicht gut getan.
 

Ein Dank an alle mutmachenden Angehörigen

An dieser Stelle bedanken sich die #Mutmachleute bei allen Angehörigen, die hier einen Beitrag zu dem Thema verfasst haben, in der Reihenfolge der Veröffentlichung: Marcel, Malin, Gudrun, Laura, Sibylle, Heike, Sabrina sowie allen mutmachenden Angehörigen, die im Stillen oder in der Öffentlichkeit der Stigmatisierung entgegenwirken und jeden Tag echte Mutmacher sind.

 

Weiterführende Informationen und Links

Eine Homepage und ein neues Online-Portal möchten wir an dieser Stelle erwähnen:

Der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V. bietet umfassende hilfreiche Erstinformationen und weiterführende Links auf seiner Homepage an. Ihm sind 15 Landesverbände der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen mit mehr als 8500 Mitgliedern angeschlossen. Sie organisieren die Arbeit der bundesweit über 500 regionalen Selbsthilfegruppen, bieten unterschiedliche Beratungs- und Informationsangebote an und leisten Lobbyarbeit und Interessenvertretung in den Ländern, Regionen und Kommunen.

Jüngst hat die AOK ein Informationsportal mit Online Angeboten für Angehörige von an Depression Erkrankten ins Leben gerufen: „Familiencoach Depression“. Es ist das erste Online-Programm, das sich speziell an Angehörige von depressiven Menschen wendet und insbesondere zu Beginn einer Diagnosestellung Hilfe bietet im Umgang mit dem depressiven Menschen. Der Zugang und die Nutzung des Portals ist kostenfrei und ohne Mitgliedschaft möglich.
 
Text: Tina Meffert
Foto: pixabay.com