Bipolare Störung (Bipolare affektive Psychose): Ich bin immer anders, und doch bin ich immer ich – und mehr, als meine Erkrankung.
Betroffene: Dr. Christine Schnieders
Jahrgang: 1964
Diagnose: Bipolare Störung (Bipolare affektive Psychose), Alkoholkrankheit (seit elf Jahren abstinent)
Therapie: Tiefenpsychologisch fundierte Gesprächs- und Verhaltenstherapien, Langzeittherapie (Entwöhnungsbehandlung), Ergotherapien (Holz- und Tontherapie)
Ressourcen: meine Kinder, mein Facharzt, die Medikamente, Freunde, meine Selbsthilfegruppe, Onlineforen
Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?
Eigentlich zieht es sich schon sehr lange Zeit durch mein Leben, dass ich „anders“ bin, ohne dass dies eine diagnostische Verankerung erfahren hatte. Im Rahmen einer fachärztlichen Behandlung 2010 bekam ich mit 46 Jahren die Verdachtsdiagnose Bipolare Störung, die dann während eines längeren Klinikaufenthaltes bestätigt wurde.
Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?
Ich gehe offen mit meiner Störung um, was teilweise leider auch dazu geführt hat, dass sich meine Kontakte reduzierten oder ganz wegfielen. Wenn ich jedoch zu mir nicht in Gänze stehen kann, wie soll es dann meine Umwelt können? Es lässt sich ohnehin nicht vermeiden, dass ich mich zeitweise ein Stück weit „merkwürdig“ verhalte.
Ich möchte zeigen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen weitestgehend so „normal” sind wie nicht erkrankte Menschen. So hoffe ich, dem Stigma und der Vorverurteilung entgegenwirken zu können.
Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?
Ich habe ganz unterschiedliche Reaktionen erlebt: aufrichtiges Interesse, Irritation bis hin zu totaler Ablehnung. Und ich wurde und werde belächelt. Von meinem Umfeld wünsche ich mir natürlich mehr Verständnis, aber vor allem die Gelassenheit, die ich in Bezug auf meine Störung haben muss und haben darf.
Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
Meine Erkrankung zu akzeptieren, fiel mir nicht wirklich schwer, erklärt die bipolare Störung doch ein Stück weit mein So-sein. So war ich weder geschockt noch irritiert, sondern eher erleichtert, da sich das meiste begann, zu einem sinnhaften Bild zusammenzufügen.
Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?
Mir helfen in Krisensituationen meine Familie, mein Facharzt, die Medikamente und meine Freunde aus der Selbsthilfegruppe und den Onlineforen. Das sind meine Ressourcen, wie auch das Wissen, dass jede Erkrankungsphase endlich ist.
Mittlerweile kann ich annähernd durch die Depression hindurchtauchen und habe gelernt, eine Manie stoppen zu lassen. Meine Kinder, mittlerweile groß, sind zuverlässige Frühwarner: Ich lasse es zu, dass mich Personen meines Vertrauens fragen oder die Befürchtung äußern, dass ich auf dem Weg in eine Manie bin. Sicher bin ich dann nicht begeistert, dass ich ausgebremst werde – doch ich bleibe in der Situation. Ich versuche mich dann zurückzunehmen, reduziere meine Auslöser, vermeide Stress, reduziere Kontakte, versuche weniger zu reden, esse regelmäßiger, achte auf meinen Schlaf und beobachte mein Verhalten.
Da ich – objektiv gesehen – den Blödsinn ja kenne, den ich in Manien mache, versuche ich diesen zu unterlassen. Das ist für mich der schwierigste und schwerste Teil der Erkrankung, denn dies gelingt mir nur ganz am Anfang des Weges in die Manie, wenn sich alles noch sehr gut und angenehm für mich anfühlt. Bin ich weiter auf den Weg in die Manie gegangen, lässt diese sich nur ganz schwer wieder einfangen. Deswegen ist es wichtig, dass ich dann frühzeitig zu meinem Facharzt gehe, um mit ihm die Situation zu besprechen, ob eine (vorübergehende) Medikationsanpassung notwendig geworden ist.
Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Holt euch Hilfe und sagt, was ihr braucht. Es ist ein gutes, wenn nicht sogar besseres Leben mit einer bipolaren Störung möglich! Wir sind mehr als die Depression oder die Manie und mehr als das Auf und Ab der Phasenausschläge. Wir handeln zeitweise ver-rückt, sind aber nicht verrückt.
Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?
Achtet auf euch und eure Grenzen. Ihr seid kein “Anhängsel” von mir, sondern habt ein Recht auf ein eigenes Leben, auch wenn ich das zeitweise doof finde. Nehmt mich ernst und nehmt mich in die Pflicht. Redet mit mir und übt euch in Gelassenheit bei Rückschlägen. Das wird euch und auch mich schützen und stützen.
Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?
Ich bin ein sehr positiver Mensch. Ich vertraue ohne Weiteres, engagiere mich gerne und übernehme Verantwortung ohne viel Aufhebens. Ich bin fürsorglich, empathisch und ich meine, dass jeder ein paar zweite Chancen verdient hat :o)
Ich kann im Normalfall sehr präzise und schnell denken, wobei konzeptionelles und interdisziplinäres Arbeiten mir sehr liegt. Und es erfüllt mich mit Stolz, dass ich eine Selbsthilfegruppe und zwei Onlineforen managen darf.
Christine ist Administratorin der Facebook Gruppe Bipolare Störung.