Jule Mutmachleute

Borderline, Depressionen & Angststörung: Schwarz-weiß kann eine Chance sein.

Betroffene: Jule
Jahrgang: 1984
Diagnose: Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Typ Borderline, rezidivierende depressive Störung, Angst- und Panikstörung
Therapie: Teilstationäre Aufenthalte, ambulantes Skills-Training, ambulante Therapie (DBT, kognitive Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, Gestalttherapie)
Ressourcen: mein Ehemann, meine Assistenzhündin, Kreativität, Hoffnung, starker Veränderungswille

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Meine Borderline-Diagnose habe ich erst mit 33 Jahren bekommen. Zuvor war ich zwar schon in zwei langen Therapien samt teilstationären Klinikaufenthalten, niemand hatte aber bis zu diesem Zeitpunkt eine klare Diagnostik bei mir durchgeführt.

Nach einem Jahr Therapie, einer Depression samt Suizidgefahr landete ich zu meinem Glück in einer Klinik, die mich ordentlich auf den Kopf stellte. Auslöser der Depression waren die ständigen Anspannungsspitzen und die typische Gefühlswaschmaschine in meinem Bauch. Dinge, die ich durch meine Therapien hatte ausradieren wollen, die ich nie wieder in meinem Dasein fühlen wollte. Nach der Diagnosestellung „Borderline“ musste ich mich mit dem Gedanken befassen, dass die extremen Gefühle bleiben.

Ich musste feststellen, dass ich mein Leben ohne den Faktor „Gefühlschaos“ geplant hatte. Stattdessen hatte ich jahrelang gegen Windmühlen gekämpft, in der großen Erwartung den Kampf zu gewinnen und das perfekte Leben zu kassieren.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Wer kennt es nicht, das Gesicht des Gegenübers, wenn man erklärt „Ich habe eine psychische Erkrankung.“. Diese Angst vor der Reaktion und das Gefühl, etwas Falsches zu sagen.
Ich bin davon überzeugt, dass ein positiver, konstruktiver und offensiver Umgang mit der Krankheit beim Gegenüber zu einer leichteren Akzeptanz führen kann.

Daher ist es mir wichtig, mein Gesicht zu zeigen, um Ängste zu reduzieren und zu verdeutlichen, dass Borderliner kein Haufen unberechenbarer Verrückter sind. Wir fühlen einfach nur anders – nicht besser oder schlechter.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Meinem Ehepartner hat die Diagnose sehr dabei geholfen, mich zu verstehen und sich in gewissen Situationen besser abgrenzen zu können. Den Kontakt zu meinem Vater musste ich allerdings abbrechen. Da meine Mutter wegen ihrer Borderline-Erkrankung verstarb, war es für ihn wohl ein Schock. Es wurde immer schwieriger, den Kontakt zu halten. Als er dann wegen seiner Vorliebe für Esoterik mit energetischen Schutzmitteln gegen die krankmachende Energie des Borderline angehen wollte, war es für mich an der Zeit, einen Cut zu machen. Es tut weh, aber es verschaffte mir auch die Möglichkeit die Beziehung, zu meinem Vater therapeutisch zu reflektieren und zu akzeptieren, dass ein Kontakt aktuell eine Retraumatisierung für mich ist.

Ich würde mir von meinem Umfeld wünschen, dass es hinsieht, hinhört und dadurch auch versteht, wer ich bin. Und das ist eine Person mit viel Gefühl, einem großen Herzen und einer Menge Kreativität. Zwar habe ich eine Erkrankung der Gefühlsregulation, aber ich bin durch meine Therapien reflektiert und geschult genug, damit eigenverantwortlich umzugehen.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Zuerst war es für mich hilfreich, Fachinformationen einzuholen. Mit der Panik und der Depression hatte ich schon Erfahrung, aber mit der Thematik Borderline hatte ich mich bis dahin nicht beschäftigt. Mein Mann und ich führten außerdem viele Gespräche.

Was mir letztlich aber am besten half und am stärksten etwas in mir veränderte, war der offensive Umgang mit meiner emotionalen Instabilität. So konnte ich lernen, meine Krankheit ein Stück mehr anzunehmen, achtsamer mit mir umzugehen, um Schritt für Schritt mein Leben für mich neu zu gestalten.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Neben den üblichen Skills habe ich das Glück, eine Assistenzhündin an meiner Seite zu wissen, die mich aus Dissoziationen befreit und durch Depressionen begleitet. Ich habe auch gelernt, meine Anspannung zu erkennen, Gefühle zu benennen und typische Symptome an mir wahrzunehmen, was in Krisensituationen sehr hilfreich ist.
Meine wichtigste Ressource ist mein starker Wille, meine Krankheit in den Griff zu bekommen. Das lässt mich vieles Ausprobieren und auch immer wieder neu anfangen, wenn ich mal scheitere.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Borderline sollte nicht als reine Schwäche angesehen werden. Extrem zu fühlen, heißt auch, viele gute Dinge stärker erleben zu können als andere. Es ist daher nicht schlimm, alles in Schwarz-weiß zu erleben. Es ist nur sehr tragisch, wenn man sich darin verliert und sich nicht aufmacht, um auch die Farben im Leben zu finden.
Der Weg mit der Erkrankung zu leben ist steinig, hart und langwierig. Aber ich finde, er ist es wert, gegangen zu werden, sonst würde man letztlich alles verlieren statt zu gewinnen.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir
(einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Am besten hilft man den Betroffenen, wenn man sich um eine Angehörigenhilfe bemüht. Die Unterstützung von Fachleuten bringt Angehörigen eigene Sicherheit und Stabilität. Es ist wichtig, die Kommunikation mit dem Betroffenen nicht zu verlieren. Auch ist es wichtig, über Probleme, die durch die Erkrankung entstehen und über die eigene Angst zu sprechen.
Direkt etwas gegen die Symptome tun, kann man als Angehöriger nicht, das muss ein Therapeut tun. Schon alleine deshalb, um sich nicht in Überforderungssituationen zu bringen. Ein Angehöriger kann unser Gefühlschaos nicht nachempfinden und sollte es auch nicht versuchen.

Aber ein Satz wie „Check mal die Facts!“ kann schon hilfreich sein, wenn es denn knallt.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Am Meisten schätze ich an mir meine unerschöpfliche Hoffnung. Ich habe bis jetzt noch nie aufgegeben, auch wenn ich oft kurz davor war. Ich versuche, in jedem wundervollen Kleinen etwas Großes zu finden. Und ich stehe immer wieder auf anstatt einfach liegen zu bleiben.

Auch bin ich dankbar für meine Kreativität, die sich im künstlerischen und musikalischen Bereich zeigt und für mein großes Herz. Diese Dinge verschönern meine düsteren Tage, wenn mich sonst nichts hält.

 
Jule bloggt auf Schwarzmalen über das Leben mit emotionaler Instabilität.