Dysthymie, Angst- und Panikstörung, PTBS: „Du bist übergeschnappt, hast eine Meise, bist nicht ganz bei Sinnen. Aber weißt Du was? Das macht die Besten aus!“ (Alice im Wunderland)
Betroffene: Riet
Jahrgang: 1992
Diagnose: Dysthymie mit rezidivierenden depressiven Episoden, Angst- und Panikstörung, PTBS, CFS (Chronic Fatigue Syndrome), Somatisierungsstörung
Therapie: tiefenpsychologisch fundierte Therapie, psychiatrische Klinik
Ressourcen: Malen, Schreiben, Bewegung, Lesen, Meditation
Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?
Nach einer 3-jährigen Odyssee, von Arzt zu Arzt, bei der mir keiner sagen konnte, was mir fehlte oder mit mir los war, erzählte mir meine Hausärztin, dass im Haus gegenüber ein psychosomatisch-orientierter Psychotherapeut tätig wäre und fragte mich, ob ich nicht mal mit ihm sprechen wolle. Damals glaubte ich über Psychotherapie nur zwei Dinge zu wissen: a), man liegt auf einer Couch und b), für meine Familie war das Ganze ein Tabuthema und ein Grund sich zu schämen. Ich war aber verzweifelt genug, es trotzdem zu versuchen – zum Glück! Krank bin ich schon seit meiner Kindheit gewesen, nur konnte mir keiner den Grund nennen. 2013 habe ich es endlich benennen können und plötzlich hat so vieles Sinn ergeben.
Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?
Als ich mich 2015 in eine Klinik einwies, machte mir der Kontakt mit anderen Betroffenen deutlich, dass wir uns danach sehnen, dass man uns zuhört, ohne uns für verrückt zu erklären. Wie mächtig ein „Ich dachte, ich wäre die einzige. Mir geht es genauso!“ war, habe ich dort erst erfahren. Wir wollen offen sagen können, was uns beschäftigt und bewegt. Wir wollen ohne Verurteilung gehört werden. Der Austausch findet für uns Betroffene meistens nur in einem sicheren Raum mit anderen Betroffenen statt, aber wie schön wäre es, wenn wir uns mit anderen Menschen, die uns umgeben, genauso unterhalten könnten? Wie schön wäre es, ohne Stigmatisierung darüber reden zu dürfen, was unser Leben auf so maßgebliche Art verändert hat?
Seit meinem Klinikaufenthalt ist es mir ein persönliches Anliegen, Stigmatisierungen abzubauen.
Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?
Mit meiner Familie war kein offenes Gespräch möglich, und auch die Freunde wandten sich von mir ab. Ich funktionierte nicht mehr, wie ich es einst tat, und das war für viele der Grund, mich abzuschreiben. Aber ich selbst bin auch nicht ganz schuldlos, dass es mit einigen getrennte Wege ging. Ich musste mich erst mal selbst finden, denn im Grunde hatte ich keine Ahnung, wer ich war, wenn ich die glattpolierte Fassade, die ich aufrechtzuerhalten versuchte, ablegte.
Ich wünsche mir vom meinem Umfeld mehr Akzeptanz. Ich erwarte nicht, dass jeder Mensch die irrationalen Ängste nachvollzieht oder nachfühlen kann, wie sich eine Depression anfühlt. Ich wünsche mir aber, dass sie mich so sein lassen, wie ich bin. Mit meinen Bedürfnissen und Grenzen. Wenn sie das tolerieren und akzeptieren, dann ist mir geholfen.
Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
Mich informieren und sehr viel darüber lesen. Dass es Erklärungen für die Art und Weise gibt, wie ich mich fühle, beruhigt mich und gibt mir das Gefühl, dass die Kontrolle nicht komplett aus meinen Händen gerissen wird. Das gibt Mut und Hoffnung. Meine Kindheit aufzuarbeiten, hat maßgeblich dazu beigetragen, zu verstehen und die Krankheit zu akzeptieren.
Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?
Mittlerweile habe ich mir eine ganze Reihe an Skills angeeignet, die ich verschieden einsetze. Selbstfürsorge ist dabei meine größte Stütze, ich trainiere sie täglich wie einen Muskel. Ich frage mich ganz konkret: „Was brauche ich?“, dann versuche ich, mir genau das zu geben. Das bedeutet aber auch, flexibel zu sein. Was ich heute brauche, ist eventuell nicht das gleiche wie das, was ich morgen brauche. Bauchatmung und – ganz zu meiner Überraschung, da ich Mathe hasse – Rechenaufgaben lösen, haben sich in jeder Situation bewährt!
Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Wir wurden aus der Bahn geworfen, in vielen Fällen sind wir nicht einmal mehr auf demselben Weg, auf dem wir einst waren. Aber das bedeutet auch, dass wir unseren eigenen Weg gehen können. Selbst, wenn die Gesellschaft uns vehement versucht, etwas anderes zu erzählen. Es gibt uns die Möglichkeit, uns unser Leben anzuschauen und zu fragen: „Wie möchte ich leben?“ Was wünschst du dir und wie stellst du dir dein selbstbestimmtes Leben vor?
Unsere Krankheit hat uns gezwungen, NEIN zu vielen Dingen zu sagen, aber sie erlaubt uns auch JA zu anderen Dingen zu sagen – zu uns selbst.
Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir
(einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?
Fragen zu haben, ist nichts Verwerfliches. Im Gegenteil, erlaubt euch, verwirrt zu sein, erlaubt euch, Dinge genauer wissen zu wollen. Informiert euch. Besser noch, fragt die Betroffenen selbst. Gebt ihnen die Chance, sich zu erklären und eine Stimme zu haben. Hört ihnen zu, um zu lernen, nicht um Antworten zu geben. Je näher dieser Mensch einem steht, desto schwieriger wird es, sich abzugrenzen. „Wo fange ich an und wo hörst du auf?“ Zieht gesunde Grenzen, falls nötig. Grenzt dabei aber auch nicht euch selbst oder Betroffene aus. Die Kommunikation ist wie in jeder Beziehung das A und O.
Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?
Meine Kreativität, die im schlimmsten Fall meine Horrorszenarien in prächtige Farben, Nebenhandlungen und Details schmückt, die jedem Drehbuchautor Ehre machen würde. Diese Kreativität ist aber im besten Fall auch die Quelle meiner Lösungsfindungen. Meinen Mut, auch andere Wege zu gehen, das schätze ich sehr an mir.
Auf Instagram unter @diekleineriet zeige ich meine Kunst, die sich oft mit dem Thema meiner psychischen Krankheiten auseinandersetzt.