PTBS und Borderline: Wir haben alle dieselben Rechte als Menschen – mit oder ohne Erkrankung

Betroffene: Iris Müller

Jahrgang: 1978

Diagnosen: PTBS, Borderline, Angststörung, Abhängigkeitsstörung, ADHS

Therapien: verschiedene von vollstationär (geschlossen) bis ambulater Gesprächstherapie

Ressourcen: Reisen, politischer Aktivismus

 

 

Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren?

Ich war mit 16 oder 17 Jahren das erste mal in Behandlung, damals litt ich an einer Essstörung, die jedoch Teil meiner Borderline Störung war (wie sich später herausstellte). Ich begann im Alter von 16 Jahren mit selbstverletzendem Verhalten, die Essstörung war nur ein Teil davon. Es brauchte 20 weitere Jahre und mehrere Aufenthalte im geschlossenen psychiatrischen Kontext (nach Suizidversuchen) bevor ich medizinisch diagnostiziert wurde.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Ich zeige seit vielen Jahren Gesicht, vor allem um die Stigmatisierung gegenüber psychischen Erkrankungen zu reduzieren und zu erwirken, dass wir endlich gleichberechtigt angesehen werden und nicht als „verrückt, unzuverlässig und unzurechnungsfähig“. Ich kann meine Symptomatik sehr gut verstecken, daher muss ich Gesicht zeigen, um überhaupt als „Expertin“ wahrgenommen zu werden und in dieser Rolle über dieses Thema sprechen zu können.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft) in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?

Die meisten Menschen haben mit einfach nicht geglaubt. Nach außen hin habe ich immer funktioniert, mich für andere Menschen eingesetzt. Ich bin klug, gepflegt und kann mich gut ausdrücken. Ich wirke immer gut gelaunt und arbeite hart. All dies sind keine Charakteristika, die man psychisch kranken Menschen zuschreibt. Daher hat auch niemand meine Krankheit ernst genommen.

Erst als ich mit aufgeschnittenen Pulsadern in die Klinik eingeliefert wurde, hat mein Umfeld verstanden, dass ich irgendwie nicht zurecht komme. Im Verlauf habe ich viele Menschen verloren, die mit meiner Erkrankung nicht umgehen konnten – auch meine Eltern. Für sie war ich eine Enttäuschung.

Ich würde mir wünschen, dass verstanden wird, dass die Mythen über psychische Erkrankungen (z.B. ungepflegt, unattraktiv, unzuverlässig, nicht produktiv, nicht klug … usw.) nicht wahr sind – die Bilder, die wir in unseren Köpfen haben müssen einfach überschrieben werden. Ich würde mir auch wünschen, dass psychische Erkrankungen ganz „normal“ sind und jeden Menschen treffen können. Dann würden sich viel mehr Menschen Hilfe suchen und man würde psychische Erkrankungen auch ernst nehmen – so wie körperliche Erkrankungen.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Ich hatte kein Problem meine Krankheit zu akzeptieren – das Problem hatten meine Mitmenschen. Mir hätte es jedoch in meiner Genesung geholfen, wenn ich ernst genommen worden wäre.


Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Ich habe durch die ADHS sehr viele verschiedene Interessen und Hobbies. Wenn ich krisenhaft bin nutze ich eins davon, um mich abzulenken.


Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Kämpft für euer Recht, gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben zu können. Niemand hat das Recht, uns Dinge vorzuenthalten, weil sie glauben wir sind weniger wert wegen unserer Erkrankung. Und nutzt die Potentiale, die sich aus Eurer Diagnose ergeben (alles Negative hat auch eine positive Seite).

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Dazu kann ich nichts sagen, für mich gibt es da auch einfach nichts zu sagen – wir haben alle unser Päcklein zu tragen und niemand ist frei von Verantwortung.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich habe sehr viel Mitgefühl gegenüber allen unterdrückten Menschen auf der Welt. Gleichzeitig bin ich sehr neugierig und probiere ständig neue Dinge aus. Ich bin mutig, weil ich weiß, welche schlimmen Situationen ich schon ganz allein gemeistert habe.

 

Iris ist Co-Gründerin des gemeinnützigen Vereins Cycling for Society e.V. mit dem Ziel, über psychische Erkrankungen zu sprechen und diese zu entstigmatisieren.

Ihr findet sie auch auf Instagram und Facebook.

 

Cycling for Society …
… aims social participations for people with so called mental disorders and disabilities by raising awareness and decreasing existing stigma in society!