Bock, Mutmachleute

Warten auf die Therapie?

Eigentlich hat Markus Bock (verbockt.com) sich den Tag anders vorgestellt. Und so richtig rund läuft er nicht. Dann kommt ein Anruf, der so einiges aufwirbelt: Nach 12 Monaten bekommt er die Zusage für einen Therapieplatz. „Stimmt, da war was – Dann kann es ja losgehen!“ Und am Ende des Tages ist gewiss: „Der Tag ist durch und morgen startet ein neuer Tag. Mit neuen Entscheidungen, mit neuen Lösungen, mit anderen Gedanken.“

Das Telefon klingelt. „Hallo Herr Bock. Sie sind bei uns noch auf einer Warteliste, ist das noch aktuell?” Ich stutze. Wahrscheinlich sehr laut. Ich bin nicht oft sprachlos, aber mehr als ein: “Äh … äh … ja” ist gerade nicht drin. Warteliste. Stimmt, ich war ja zu einem Vorgespräch, um nochmal eine Therapie zu machen, mit der ich die letzten Baustellen bearbeiten kann. Dann kann es ja jetzt losgehen!

Es kann losgehen. Ein Jahr später. Zwölf Monate fast auf den Tag genau später. Ich habe kein Gefühl dazu. Freude schon gar nicht. Am 14.11.2017 war ich zum Vorgespräch dort, habe die Bescheinigung bekommen und wir haben eine Stunde darüber gesprochen, welche Themen es werden, wie die Therapie ablaufen wird und was meine Aufgaben dabei werden. Losgehen kann es jetzt. Was denn? Ich habe jetzt 12 Monate mit den Themen verbracht. Ich habe nicht nur eine Krise erlebt, nein, ich hatte mehrere Tiefpunkte, die ich alleine für mich aufgelöst habe. Ich habe geschrieben, geredet, gedacht, reflektiert, ausgehalten, gekämpft, versucht für mich zu sorgen. Meine Menschen um mich herum haben mich ausgehalten, versucht zu reden, mitgelitten und schweigend ausgehalten. Ich habe die Auslöser für die Krisen immer wieder gesucht und gefunden. Und jetzt? Kann es losgehen. 12 Monate später. Ich weiß nicht genau, ob ich mich freuen soll. Immer, wenn ich genau darüber nachdenke, kommt nur ein zur Kenntnis nehmendes Nicken heraus.

 

Und welche Richtung darf es sein?

Was soll ich nun da? Die erhoffte tiefenpsychologische Therapie wird es nicht, weil der freie Therapeut nur Verhaltenstherapie anbietet. Das einzige, was mich daran gerade etwas positiv stimmt, ist das Wissen, wie wir die Therapie gestalten wollen. Es wird für mich anders und neu. Ich kann sicher noch ne Menge in mein Repertoire an Handwerkszeug packen, aber wie zielführend ist das? Ich hatte andere Ziele. Wie ich mit all den aufkeimenden Situationen umgehen kann, weiß ich doch. Was noch alles da ist, das will ich wissen. Ich möchte die Konflikte und noch vorhandenen Entwicklungsstörungen sehen, die mich gerade jetzt noch oft behindern. Ja, behindern. Ich stehe mir mit den Konflikten im Weg. Und dann kann ich sie doch nach und nach auflösen. Es fühlt sich an, als spannen wir hier wieder den Esel vor den falschen Karren. Ich ziehe die Karre wieder durch den Dreck, verschwende Zeit, aber wie weit komme ich damit?

Ich brauche einen Plan. Weil es ja jetzt losgeht. Ich gehe zur Therapie und erzähle dem nächsten Verhaltenstherapeuten, was mir auf der Seele brennt. Nein, welche Baustellen ich habe. Es brennt ja nicht. Da sind ein paar Glutnester, aber die großen Feuer habe ich mittlerweile ja selbst gelöscht. Ich starte also fast auf den Tag 12 Monate später. Am 13.11.2018 der Anruf, ob es noch aktuell ist. Am 14.11.2017 war ich zum Vorgespräch. Am 15.11.2018 geht’s los.

Dieses zur Kenntnis nehmende Nicken weicht einem Kopfschütteln. Ein Kopfschütteln, das eigentlich nur die Ernüchterung über Gesundheits- und Versorgungssystem zeigt. Ich bin also auch wieder ein Mensch in dieser Maschinerie, die durch Krankenkassen finanziert wird, die von der Politik gestützt, aber nicht ausreichend verändert wird. Dankbar sollte ich sein! Dankbar! Endlich habe ich einen Platz. Ich kann aber gar nicht dankbar sein, weil ich mehr und mehr das Gefühl habe, ich würde jemand anderem einen Platz blockieren, der es viel nötiger hat. Einem, der gerade in dieser Krise ist, die ich durchgestanden habe. Jemandem, der händeringend diese Hilfe braucht und nicht bekommen kann, weil er auf der Warteliste ist. Trotzdem starte ich. Ich habe aber einen Deal mit mir. Ich gucke, ob und inwieweit es mir etwas bringt. Sehe ich kein sinnvolles Ziel, steige ich aus und mache den Platz frei. Damit kann ich leben.

Geben wir dem Ganzen eine Chance.

Der Rest? Ist einfach nur traurige Gewissheit. In so vielen Richtungen.

Meine eigene Situation zeigt mir hautnah, wie wichtig es ist, mehr Kassenzulassungen für Therapeuten zu schaffen. Der Bedarf ist da.

Die Vorgespräche sind gut und wichtig. Es muss eine Unterscheidung in der Schwere gemacht werden – finde ich. Und doch ist das System darauf aus, auch Menschen in eine Reha zu schicken, die da noch gar nichts zu suchen haben. Nur, damit „irgendwas” gemacht wird. Welchen Sinn hat das? Der Betroffene ist 6 bis 8 Wochen in der Reha, hat jede Woche ein oder maximal zwei Therapiegespräche, kann sich nicht einlassen, weil die Therapeuten durch Krankheit und Urlaub wechseln, kommt nach Hause und ist nicht weiter gekommen mit sich und seiner Problematik. Schon gar nicht rehabilitiert. Es ist so mühsam, immer wieder über all jene Missstände zu sprechen. In jedem Bereich. Und eigentlich möchte ich das hier auch gar nicht zum Thema werden lassen – wir alle kennen die Problematik des Systems. Aber auch nur wir alle können daran etwas ändern. Zusammen, an einem Tisch mit dem Gesundheitsausschuss.

Es wird Zeit, dass Betroffene mehr in diese Themen eingebunden werden. Es wird Zeit, dass sich etwas ändert. Warum starten wir nicht mal da?