Bipolar, Mutmachleute

Bipolare Störung: Ich gehe offen auf Menschen zu und liebe das Leben – mit allen Höhen und Tiefen.

Betroffene: Katharina
Jahrgang: 1970
Diagnose: Bipolare Störung (Bipolar II), leichtes körperliches Handicap nach Hirntumor (seit 1988)
Therapie: Psychotherapie, stationärer Klinikaufenthalt, Medikamente, pflanzliche Heilmittel und Massage; ausgeglichene, gesunde Lebensweise (Bewegung, Ernährung, Entspannung)
Ressourcen: Musik machen und hören, Natur, Lesen, Familie & Freunde

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Den Hang zu Nachdenklichkeit, Schwermut und Stimmungsschwankungen kenne ich bereits seit meiner Kindheit. Immer wieder gehörten aber auch Phasen der überbordenden Lebensfreude, Leichtigkeit und der Höchstleistungen zu meinem Weg. In psychologische Beratung ging ich erstmals nach einem beruflich bedingten Burnout im Sommer 2012. Ein Jahr später wurde meine Mutter schwer krank und verstarb nach einjähriger, intensiver Pflege.

Nach ihrem Tod fiel ich in ein bodenloses Loch. Ich hatte damals keine Anstellung mehr, zudem standen die Ablösung meines Sohns und weitere Themen an. Alles wurde mir plötzlich zu viel. Eine schwere Depression mit riesigen Ängsten vor Allem und Jedem war die Folge. Alleine einkaufen zu gehen war ein Kraftakt. Mein Partner ermutigte mich, Hilfe zu holen. Der Psychiater gab mir den Rat zu einem sofortigen stationären Klinikaufenthalt im Januar 2014.
Die medikamentöse Einstellung erwies sich als schwierig. Nachdem ein gängiges Antidepressivum (AD) bei mir ein alptraumartiges Tief mit Psychose und das nächste AD anschließend eine Hypomanie auslöste, wurde bei mir – ich war noch in der Klinik – die Verdachtsdiagnose Bipolare Störung gestellt. Diese war zunächst für mich sowie meine Familie ein Schock. Heute geht es mir seit drei Jahren jedoch sehr gut und viel besser als vor der Diagnose. Ich habe gelernt, mit der Krankheit umzugehen.

Seit meinem 18. Lebensjahr habe ich zudem wegen eines Gehirntumors, der glücklicherweise operiert werden konnte, ein leichtes körperliches Handicap beim Sprechen, Schreiben und Gehen.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Ich gehe offen mit meiner Krankheit um. Ich möchte aufklären, der Stigmatisierung entgegenwirken.

Jedoch finde ich es im beruflichen Umfeld schwierig, mit offenen Karten zu spielen. Gerade mit der Diagnose Bipolare Störung gehe ich nicht hausieren. Wenn jemand fragt, spreche ich eher von Depressionen oder Burnout. Nur wenn ich jemandem sehr vertraue, erzähle ich mehr.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Die Mehrheit reagierte schockiert, aber verständnisvoll auf beide Krankheiten (Hirntumor und Depression). Viele möchten jedoch keine Details wissen und fragen auch nicht nach. Es genügt ihnen, wenn es mir – dem Schein nach – gut geht. Besonders das Thema psychische Krankheit, aber auch Krebs (Hirntumor), erlebe ich immer noch als Tabu/Stigma.

Ich würde mir wünschen, dass die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen in der Gesellschaft und im eigenen Umfeld, und die Vorurteile, dass man selber „schuld“ sei an einer psychischen Krankheit, aufhört. Ich erlebe beides: sowohl Mitgefühl und Verständnis, aber auch Vorurteile, Misstrauen, Desinteresse bis hin zu Ablehnung.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Wissen und eigenes Verstehen über Ursachen, Zusammenhänge und Therapien, sei es im Gespräch mit Fachleuten, Mitpatienten und meiner Familie oder aus Büchern, Internet und Filmen. Zu wissen, dass enorm viele Menschen von psychischen Krankheiten betroffen sind, und der Austausch mit ihnen hilft bei der Krankheitsbewältigung.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Notfallmedikamente. Techniken zur Stressbewältigung wie: Bewusstes Atmen, Reizabschirmung (sich kurzzeitig aus dem „Trubel“ nehmen), autogenes Training, Spazieren gehen, Natur, Bewegung, Sport, Musik, Gespräche mit Partner / Familie / Freunden / Facharzt.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Ob man ein psychisches oder körperliches Leiden hat, es lohnt sich auf jeden Fall, Hilfe zu holen. Vertraut euch Freunden und/oder Fachpersonen wie Psychiatern oder Fachärzten an. Holt im Zweifelsfall eine Zweitmeinung ein.

Das Leben ist lebenswert und schön. Versucht, im Hier und Jetzt zu leben, den Augenblick zu genießen und vor allem die guten Seiten zu sehen. Auch wenn es noch so dunkel ist, kann die Sonne eines Tages wieder scheinen.
Mitunter braucht es viel Geduld und Zeit, doch es lohnt sich dranzubleiben, und Hilfe, auch medikamentöse, anzunehmen. Jeder Mensch ist wertvoll und einzigartig – unabhängig von seiner Leistung.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir
(einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Mir hat es geholfen, dass meine Familie, wenn ich selber keine Hoffnung und Kraft mehr hatte, dann trotzdem an mich und eine positive Wende glaubte. In schwierigen Zeiten hilft es mir, wenn ich mit jemandem reden kann – oder auch, dass ich allein sein kann, wenn ich dies möchte.

Es ist für Angehörige wichtig, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten, wenn nötig, sich abzugrenzen.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich habe einen sehr starken Lebenswillen und die Fähigkeit, mich für vieles mit ganzem Herzen zu begeistern. Ich habe eine positive Lebenseinstellung und gehe offen und freundlich auf Menschen zu. Ich verliere (fast) nie die Hoffnung, auch in scheinbar ausweglosen Situationen. Ich schätze meinen Lebensmut und meine Feinfühligkeit: Sie machen mein Leben farbig.

Katharinas Homepage findet ihr auf prysma.