Mutmachleute Psychische Schmerzen

Psychische Schmerzen

Diese Form von Schmerz ist eine ungemein qualvolle Erfahrung. Psychischer Schmerz kann kurzfristig auftreten oder sich über Wochen, Monate und Jahre in uns aufhalten. Er kann unser Herz brechen, unseren Verstand so besetzen, dass er alles okkupiert, er kann sich im Körper als physischer Schmerz manifestieren. Es braucht Zeit, Geduld, helfende Hände, Vertrauen, Unterstützung und vieles mehr, um psychische Schmerzen zu lindern oder zu heilen.

 

Psychischer Schmerz kann u.a. eine logische Folge emotionalen und/oder körperlichen Missbrauchs sein oder von Verlusterfahrungen. Er entsteht durch Erlebnisse, die schier unfassbar sind, die unaussprechlich und mit Worten nicht mehr zu beschreiben sind. Es ist ein Schmerz, der dauerhaft ängstlich macht, lähmt, zermürbt, aushöhlt und ermüdet. Durch den psychischen Schmerz wird das Leid in allen Facetten sichtbar, das Menschen erleben müssen. Er übermannt uns bisweilen, macht uns handlungsunfähig, blockiert alles, was uns einen schönen Moment oder Tag bescheren könnte.

 

Psychische Schmerzen und ihre Folgen

So mancher Mensch ist nicht mehr imstande, diesen Schmerz auszuhalten. Diese Form von Schmerz ist so ungeheuer, dass Menschen depressiv werden; sie verdrängen dann all die Gefühle, die der Schmerz mit sich bringt, um ihrer Heftigkeit nicht mehr ausgeliefert zu sein. Trauer und Wut werden zu innerer Leere.

Manche Menschen geraten in Psychosen, um dem Ausgeliefertsein dieser schmerzhaften Realität zu entfliehen. Manche entwickeln fürchterliche Ängste vor ihren Gefühlen, davor, dass sich dieser Schmerz wiederholen und einbrennen könnte – dass sie sich verlaufen in die Kontrolllosigkeit. Menschen, die dem psychischen Schmerz nicht mehr anders als durch Manien oder auch schizophrenen Symptomenformen entkommen können, stehen vor einem Abgrund, in den sie unvermeidlich rutschen.

 

Ich kenne diese Schmerzen höchstpersönlich.

Ich selbst habe ihn erlebt, immer und immer wieder. Keine einzige Erfahrung mit körperlichen Schmerzen, die mir persönlich bislang zuteil wurde, kommt ihm gleich. Ich war dem psychischen Schmerz ausgeliefert, er hat mich zerfressen, zerstört, an den Abgrund geführt, dem ich gerade noch so entkam. Ich dissoziierte, zerstörte meinen Körper, fügte mir körperliche Schmerzen zu, um die psychischen abzustellen, war suchtanfällig, um meiner Realität zu entkommen, ich hörte Stimmen, die mir Böses wollten.

Ich schlug mich durch mit meinen (Hypo)Manien, um danach nur noch schlimmer am Boden kriechend zu versuchen, irgendwie den Kopf über Wasser zu halten. Vor den Ängsten floh ich, bis sie mich überrannten wie ein Tsunamie. Ich scheiterte immer wieder bei dem Versuch, diese Schmerzen zu beseitigen. Und ich konnte ihn nicht mehr aushalten, den Schmerz.

Also musste ich mich eines Tages all diesen Schmerzen stellen, ob jenen aus der Vergangenheit oder welchen aus aktuelleren Anlässen. Es war ein harter Kampf, zugegeben.

Federn habe ich gelassen, Narben, Falten und graue Haare bekommen.

 

Ich habe viel über mich (und übrigens auch andere) gelernt – und als Überlebenskünstlerin gewonnen!

Ich bin die Treppen hinabgestiegen in den Keller meines Gedächtnisses und habe die Türen geöffnet. Eine Leiche nach der anderen musste ich herausholen, ihrer hässlichen Fratze entgegenstehen, um dann eine nach der anderen zu begraben. Ich habe die verstaubten, verschimmelten Kisten geöffnet und ihren Inhalt gesichtet und entrümpelt. Ich pfiff aus dem letzten Loch, ging auf dem Zahnfleisch, mir lief der Schweiß aus allen Poren. Aber ich habe die Zähne zusammengebissen, heroisch allen Mut aufgebracht: Den Keller habe ich gelüftet und die Fenster aufgerissen, erschöpft, ausgelaugt – aber mit der Zeit wurde ich immer leichter.

Einiges ist dabei auf der Strecke geblieben: Menschen, die mich umgaben – aber mir schlussendlich nicht guttaten.

Ich habe viel Geld in die Welt geschmissen, weil ich dachte, dieses und jenes würde mir helfen, oder wäre einfach cool.

Mein beruflicher Werdegang ist abenteuerlich bis desaströs. Er ist zum Großteil meinen psychischen Schmerzen (denen ich versuchte aus dem Weg zu gehen) und den Auswirkungen der bipolaren Erkrankung geschuldet.

 

Und heute?

Ich habe vieles gewonnen. Ich erlebe neue Freiheiten, denn ich kann mir die Menschen aussuchen, denen ich vertrauen möchte, und jene finden mich, denen ich etwas bedeute. Ich bin heute so unbeschwert wie nie. Mein beruflicher Weg ist immer wieder etwas abenteuerlich, in meinem Leben war es mir selten langweilig (und anderen mit mir) – aber das ist in Ordnung so.

Wenn mir heute Dinge passieren, die mich früher aus dem Orbit geworfen hätten aufgrund dieser unfassbaren Schmerzen und meines Schmerzgedächtnisses, gehe ich heute zunächst auf Distanz.

Ich versuche das Ganze von außen zu betrachten. Ich taste mich ab: Wo tut es weh? Was genau tut weh, und warum? Woher kenne ich den Schmerz? Ist er so noch gerechtfertigt? Was kann ich ihm entgegensetzen? Und: welche alternative Sichtweise kann ich auf das äußere oder innere Geschehen entwickeln? Was hilft mir, anders und gesünder damit umzugehen? Welche Ressourcen stehen mir dafür zur Verfügung? Und welche neuen kann ich für mich entdecken?

 

Ich will Mut machen.

Es sind kleine Schritte, die zu gehen sind. Man muss aus dem Keller in die oberen Geschosse steigen, im Treppenhaus kann man hinunter sehen auf jene Stufen, die man bereits geschafft hat. Und ja, ab und zu stolpert man. Aber es ist machbar: kleine Schritte, Stufe für Stufe, den Blick nach vorne, das Kinn gereckt wie zum Trotz: es ist ja noch das Dachgeschoss zu erklimmen, um eine schöne Aussicht zu genießen. Und man weiß: Ich gehe weiter, Schritt für Schritt, einem erfüllten und zufriedenen Leben entgegen.

 

Text: Tina Meffert

Bild: pixabay.com