Dysthymie: Ich bin auch ohne Leistung wertvoll.

Betroffene: Yvonne Reip
Jahrgang: 1978
Diagnosen: Dysthymie (chronische Depression leichten Grades mit rezidivierenden mittelgradigen Episoden), Verdacht auf PTBS, diffuse ungeklärte Angststörung, Neurasthenie (chronische Erschöpfung)
Therapien: ambulante Psychotherapie, Trauma-Therapie, zwei stationäre Aufenthalte in einer psychosomatischen Reha-Klinik
Ressourcen: mein Mann, meine Katze, unsere Pferde, Wald und Garten, Musik (hören), Meditation und Yoga, fotografieren, lesen, schreiben

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Im Herbst 2011 ließ ich mich für längere Zeit krankschreiben, weil einfach nichts mehr ging. Mein Hausarzt diagnostizierte ein Burnout. Als ich ein halbes Jahr später einen Psychiater aufsuchte, um eine Überweisung in eine psychosomatische Reha-Klinik anzufragen, erhielt ich die Diagnose mittelgradige Depression. Im Laufe meiner therapeutischen und psychiatrischen Behandlung kamen weitere Diagnosen hinzu wie Dysthymie, Angststörung, Neurasthenie und Verdacht auf PTBS.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Obwohl immer mehr in der Öffentlichkeit über psychische Krankheiten gesprochen wird, gibt es immer noch viel Unverständnis, Mangel an Information und daraus resultierende Vorurteile sowie Stigmatisierung und Diskriminierung. „Ach, die ist ja psychisch krank!“ ist ein Satz, den ich häufig höre, auch wenn er sich nicht unbedingt auf mich persönlich bezieht. Damit ist gemeint, dass man als psychisch kranke Person nicht ernst zu nehmen ist und besser gemieden werden sollte. Das ist sehr verletzend. Niemand sucht sich das aus. Man ist kein schlechter Mensch, wenn man psychisch krank ist. All diese Umstände erschweren die Stabilisierung der Krankheit, die für eine Rückkehr in das „normale“ Leben nötig ist. Deshalb sind mir Aufklärung und Entstigmatisierung sehr wichtig.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Ich habe die verschiedensten Reaktionen erlebt. Mein Mann und meine Freunde reagierten mit Verständnis und Unterstützung. Einige zogen sich irritiert zurück, weil sie nicht wussten, wie sie nun mit mir umgehen sollten. Manche ließen die üblichen Sprüche los (zusammenreißen, einfach mal rausgehen, andere haben auch…). Und ein paar wenige reagierten mit offener Feindschaft, weil sie mich für gefährlich hielten. Das hat mir am meisten zugesetzt und mir zusätzlich noch Posttraumatische-Belastungsstörungs-Symptome beschert. Wünschen würde ich mir natürlich grundsätzlich die Reaktion, die mein Mann und meine Freunde zeigten.

 

Welche Dinge haben Dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

In den verschiedenen Therapien habe ich gelernt, meine Gefühle zu benennen und zuzuordnen, mich mit meinen Problemen ernst zu nehmen, statt sie zu verdrängen oder lächerlich zu machen, und besser für mich zu sorgen, statt immer nur für andere da zu sein. Die Aufarbeitung meiner Kindheit hat maßgeblich zur Akzeptanz meiner Krankheit geführt sowie das Entkoppeln meines Selbstwerts von Leistung. Und natürlich die Liebe meines Mannes nicht zu vergessen!

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Das Schreiben hilft mir, mich auszudrücken und quälende Gedanken aus dem Kopf zu bekommen. Gartenarbeit oder ein Spaziergang im Wald helfen mir, mich zu erden und neue Kraft zu tanken. Mit Yoga und Meditation lerne ich, meine Gedanken zu kontrollieren. Kuscheln mit Mann und Katze ist auch sehr hilfreich.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Ihr seid nicht verrückt! Für psychische Krankheiten gibt es Gründe und Ursachen (organische wie psychische), und es gibt wirksame Behandlungsmöglichkeiten. Ihr seid nicht allein, auch wenn es sich so anfühlt.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Das Schlimmste, das man einem Menschen mit Depressionen antun kann, ist, ihn unter Druck zu setzen. Ihm alles abzunehmen und mit Samthandschuhen anzufassen, ist aber genauso schlecht. Informiert euch über die Krankheit, nehmt selbst Hilfe in Anspruch und gebt dem Betroffenen die Zeit, die er braucht.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ohne meinen Humor wäre ich sicher nicht mehr hier. Außerdem bin ich sehr stur und ausdauernd. Egal, wie oft ich falle, ich stehe immer wieder auf. Ich verliere nie vollständig meine Hoffnung, was mich immer wieder erstaunt. Die Angst, etwas zu verpassen, wenn ich die Party früher verlasse, ist letzten Endes größer als die Verzweiflung über die schlechte Musik, wegen der ich eigentlich nicht bleiben mag.

Yvonne Reip bloggt auf Dare to be mad.