Depression und Angststörung: Es ist wie es ist sonst wäre es ja anders.

Betroffene: Tanja Kolbeck-Hörber

Jahrgang: 1970

Diagnosen: Depression, Panik- und Angststörung

Therapie: Verhaltenstherapie

Ressourcen: meine Selbsthilfegruppe, meine Familie, meine regelmäßige „Me-Time“

 

 

Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren?

Im März 2017 erhielt ich die Diagnose mittelschwere Depression mit Panik- und Angststörung.

Anfang März 2017 erlitt mein Mann einen leichten Schlaganfall, zu dieser Zeit hatte ich Stress im Beruf und Stress privat. Der Umzug meiner Mutter in ein Pflegeheim stand an und das hieß, die in ca. 80 km entfernte Wohnung aufzulösen und einen geeigneten Pflegeheim Platz in meiner näheren Umgebung zu finden.

Und dann kam mein Mann ins Krankenhaus und dann merkt man wie endlich so ein Leben sein kann. Meine größte Stütze und engster Vertrauter nicht mehr da. Meine Schlafstörung begann, nachts ca. 2 Stunden Schlaf am Stück, entweder ich konnte sofort einschlafen als ich ins Bett ging oder lag wach bis morgens, aber mehr als 2 Stunden Schlaf bekam ich in keiner Nacht. Am 17. März 2017 wachte ich morgens auf und nichts ging mehr, ich war nur am Weinen, alles fiel schwer. Zwei Wochen ohne ausreichend Schlaf, das Gedankenkarussell in der Nacht, alles forderte seinen Preis, mein Akku war leer. Was ich sofort merkte ich brauche dringend Hilfe, also habe ich mich erstmal von meinem Hausarzt krankschreiben lassen und habe mich dann mit meiner Krankenkasse in Verbindung gesetzt, dass ich Unterstützung benötige. Zum Glück hatte diese eine Notfall-Therapeutin, die 1 x pro Woche in der Kasse anzutreffen war und ich bekam sofort einen Termin. Sie hat mir dann erstmal Tabletten empfohlen, die ich mir vom Hausarzt verschreiben lassen sollte um besser schlafen zu können. Ein Anfang, wieder schlafen können, tat gut. Ab jetzt nahm ich regelmäßig den Weg von ca. 80 km auf mich, um mich mit ihr zu treffen. Mir ging es besser aber nicht gut. Jede Kleinigkeit brachte mich dazu, dass ich zu weinen anfing, jede ach so klitzekleine Kleinigkeit war anstrengend und schien nicht schaffbar. Nach ein paar Wochen beim Einkaufen bekam ich das erste Mal in meinem Leben eine Panikattacke mitten beim Einkaufen. Der kpl. Laden um mich fing an sich drehen, schwitzige Hände, weiche Knie, das Gefühl keinen Boden mehr unter den Füßen zu haben, Herzrasen. Also auf dem kürzesten Weg nach draußen an die Luft, durchatmen, zweiter Versuch, schließlich musste ich einkaufen, mein Mann auf der Reha und wir brauchten ja schließlich was zum Essen. Ab da wurde die Panik mein ständiger Begleiter und war auch der Auslöser für mich, anzunehmen das ich Krank bin und das es ist wie es ist im Moment. Ja richtig gelesen bis zu diesem Zeitpunkt, war ich ständig mit mir selber im Streit. Kann ja wohl nicht wahr sein, beweg Dich einfach, steh auf mach weiter, aber meine Seele streikte, sie ließ es nicht zu, dass ich das, was da war einfach ignorierte, wie ich mittlerweile weiß schon länger ignorierte, meine Depression. Endlich fing ich an zu akzeptieren was war, ich bin Krank, krank wie Schnupfen, wie ein gebrochener Arm, nur sah man es nicht direkt, aber es war da. Ich suchte mir einen Facharzt in meiner Nähe, als heulendes Elend saß ich vor ihm, neben mir mein Mann, da ich an diesem Tag, wie so oft in letzter Zeit, mich nicht im Stande sah, selbstständig und allein dort hin zu gehen. Mein Arzt schrieb mich weiter krank und verschrieb mir Tabletten. Mit Tabletten wurde es besser, aber geheilt war ich noch lange nicht.

Im Mai dann der nächste Schock, meine Schwester hatte einen schweren Schlaganfall, wieder riss es mir den Boden unter den Füßen weg, wieder war ich zurück im März, wieder am Anfang, wo alles begann. Die Therapeutin der Krankenkasse, die mir beratend zur Seite stand, meinte ich sollte über eine Reha nachdenken. Ich brauchte nicht lange denken und stellte den Antrag, machte mich gleichzeitig auf die Suche nach einer geeigneten Therapeutin. Nach Langer Suche habe ich erfolgreich eine gefunden, 40 km von mir weg, ohne Kassenzulassung, aber die Chemie passte. Auch hatte ich meine Bewilligung zur Reha. Ich stellte einen Antrag auf Kostenerstattung für meine Therapie, bei meiner Therapeutin und ging erstmal für 5 Wochen auf Reha.

Nach einer Woche Reha hat mir mein Therapeut dort mitgeteilt, ich solle doch mal darüber nachdenken statt 5 Wochen 7 Wochen zu bleiben. Puh, 5 Wochen ohne meine Familie fand ich extrem lang und 7 Wochen kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Trotzdem nahm ich nach langen Abwegen das Angebot an.

Ging es mir bei Ankunft in der Klinik relativ gut, dank Verdrängungs-Taktik, kam nun in der Ruhe, vieles wieder hoch. Aber ich hatte Unterstützung einen super Arzt, einen Therapeuten, der immer so lange nachfragte, bis das was mich quälte hervorkam. Irgendwann sagte ich zu ihm „und wieder sitze ich in der Ecke, in der ich nicht sitzen möchte“ Es ist nämlich wesentlich einfacher zu verdrängen, als sich mit Problemen auseinanderzusetzen. Als Antwort bekam ich nur: „und genau dafür werde ich bezahlt“. Oft habe ich ihn verflucht, gut gelaunt ging ich zur Therapie-Sitzung, heulend kam ich wieder raus. Aber es half.

Am meisten half mir der Kontakt zu Mit-Patienten und der Sport tat gut. Wieder etwas für mich tun. 7 Wochen waren schnell vorbei und ich wieder daheim. Gestärkt und voller Tatendrang mein Leben wieder zu genießen. Akzeptanz für meine Krankheit und mir ihr Leben zu lernen.

Heute nach 2 Jahren ohne weitere größere Episoden, kann ich sagen es geht mir gut.

Ich habe meinen Lebenskoffer gepackt, mit vielen Dingen, die mir helfen, wenn Sie kommt die Abwärts-Spirale, die Spirale ins Loch, meistens komm ich gar nicht unten an und manchmal sitze ich auch gerne mal da unten. Aber ich komme immer wieder raus. Meine Therapeutin hat mir dabei sehr geholfen, dass ich Werkzeug an der Hand habe, das mir hilft mir selbst zu helfen.

Ich habe seit über einem Jahr keine Panikattacke mehr.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Weil der Kontakt zu Mit-Betroffenen am hilfreichsten ist, das Gefühl nicht allein zu sein.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft) in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?

Mein Umfeld war in den Reaktionen geteilt, viele waren unwissend und wussten nicht mit dem Thema Depression umzugehen, daher hörte ich dann oft Sprüche wie „Du musst nur mal raus gehen“ „Du solltest mal zum Kaffee vorbeikommen, dass Du unter Leute kommst“ etc.

Ich wünsche mir mehr Aufklärung über das Thema, dass eine Depression als Erkrankung anerkannt wird.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Meine Reha und der dortige Therapeut. Meine Therapeutin hier vor Ort. Gespräche mit anderen Betroffenen, dass Gefühl nicht alleine zu sein.

Auch wenn es komisch klingt, hat mir meine erste Panikattacke die Augen geöffnet überhaupt zu erkennen, dass ich krank bin.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Meine 2019 gegründete Selbsthilfegruppe „SeelenBewegen“. Raus gehen in die Natur mit meinen Hunden. Meine Hobbys nähen und stricken. Gespräche mit meinem Mann. Und ab und zu setze ich mich auch gerne mal etwas in mein Loch und bleibe da sitzen, mit der Gewissheit, dass ich mein Handwerksköfferchen „Ressourcen“ habe um wieder rauszukommen.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Redet offen darüber. Es ist eine Krankheit wie ein Beinbruch etc., es ist kein Grund um sich zu schämen.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Redet mit den Betroffenen, fragt wie Du Ihnen helfen kannst, ob Du etwas tun kannst etc.

Reden mit meinem Mann und meinen Kindern hat uns allen sehr geholfen. Meine Familie fühlte sich oft so hilflos, was sie tun können, dass es mir besser geht. Dadurch habe ich mich dann wiederum bedrängt gefühlt, ein Teufelskreis.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Meine offene Art, dass ich offen mit dem Thema umgehe. Das ich meine eigene Selbsthilfegruppe gegründet habe macht mich sehr stolz. Zu merken, dass ich durch meine Offenheit anderen helfen kann.

 

Tanja hat einen Blog und Instagram Account.