Alkoholabhängigkeit (Abstinenz): Es ist ein wirklich gutes Leben ohne Alkohol möglich!

Betroffene: Dr. Christine Schnieders
Jahrgang: 1964
Diagnose: Alkoholabhängigkeit, seit elf Jahren abstinent; Bipolare Störung
Therapie: Langzeittherapie (Entwöhnungsbehandlung), Tiefenpsychologisch fundierte Gesprächs- und Verhaltenstherapien, Ergotherapien (Holz- und Tontherapie)
Ressourcen: Bekräftigung der Abstinenzentscheidung; Vermeiden oder Verlassen von belastenden Situationen, meine Selbsthilfegruppe und mein Notfallkoffer

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Ich habe eigentlich schon immer zu viel Alkohol getrunken, viel mehr und häufiger als mein Umfeld. Irgendwann wurde mir bewusst, dass mit meinem übermäßigen Alkoholkonsum etwas nicht stimmen könne. Nachdem ich im Internet geforscht habe, inwieweit ich als Alkoholikerin gelten könnte und ein eindeutiges Ergebnis hierzu bekam, schob ich es doch immer wieder erfolgreich zur Seite. Ein endgültiges JA zum radikalen Schritt konnte ich erst 2007 nach vielen, vielen Jahren machen und begab mich in die Entgiftung, Langzeittherapie und Nachsorge.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Es ist mir wichtig zu zeigen, dass auch Alkoholkranke nicht (nur) unverantwortlich handeln oder charakterschwach wären. Wir Alkoholiker sind ebenso menschlich: schwach und stark, und meistens versuchen auch wir das Beste für unsere Familie zu geben. Ein alter Spruch besagt: Alkoholabhängigkeit ist keine schlechte Angewohnheit und keine Charakterschwäche. Sie ist, was sie ist: Eine Erkrankung, Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

In den meisten Fällen hat mein Umfeld mit interessierter Skepsis reagiert. Dies ist verständlich, viele Menschen haben ja nicht schöne Erfahrungen mit Alkoholikern gemacht. So war zudem sicher auch der eine oder andere dabei, der sogar meinte: „Jaja, so kann man sich das auch schönreden.“ Die Reaktionen waren sonst häufig jedoch positiv und man war angenehm überrascht, dass ich meine Erkrankung offenbarte. Sicher hat dieser Schritt auch dazu geführt, dass sich in meinem Umfeld die wirklichen Freunde zeigten mit der Folge, dass ein paar Kontakte sich verflüchtigten. Das war bedauerlich, aber zur Aufrechterhaltung der Abstinenz unumgänglich.

Ich wünsche mir weiterhin die wunderbare Unterstützung, die ich erfahren durfte, und dass ich weiterhin in meiner Abstinenzentscheidung bestärkt werde.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Da ich viel und gerne nachdenke und Zusammenhänge verstehen möchte, hat mir das Wissen über Alkoholismus sehr geholfen, diesen auch als meine Erkrankung zu akzeptieren. Ebenso war für mich wichtig, dieses Wissen mit therapeutischer Hilfe in meine Biographie einzubetten. So ergab sich ein runderes Bild in abstrakter und individueller Hinsicht für mich.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

  1. Bekräftigung der Abstinenzentscheidung
  2. Vermeidung/Verlassen der Krisensituationen
  3. Handschmeichler zur Erdung
  4. Freunde aus der Selbsthilfegruppe
  5. Mein Notfallkoffer (Notfallnummern, Chilischote im Kühlschrank bei starkem Suchtdruck)
  6. Mein Kraftort Wald
  7. Meine Kraftwand (Fotos von mir und wichtigen Personen und Orten, Bilder von meinen Kindern und mir, Postkarten und Briefe von Freunden)
  8. Mein ehemaliger Suchttherapeut

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Schämt euch nicht, ihr seid lediglich erkrankt und seid ebenso wertvoll wie jeder andere Mensch auch. Ihr seid mehr als die Alkoholabhängigkeit.
Nehmt Hilfe an, geht zum Hausarzt oder zu einer Suchtberatungsstelle (z.B. bei der Diakonie oder Caritas – das geht auch anonym und ist kostenfrei) und macht euch auf den Weg zu eurer Gesundung. Ihr seid nicht alleine. Wie euch geht es vielen – und viele haben es bereits geschafft, die Erkrankung zu stoppen.

Es ist ein wirklich gutes Leben ohne Alkohol möglich!

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Achtet auf euch und eure Grenzen, damit ihr nicht in den Strudel der Co-Abhängigkeit geratet. Arbeitet mit therapeutischer Hilfe die Verstrickungen auf, so dass jeder wieder „frei“ sein kann, um sich so auf Augenhöhe zu begegnen.
Arbeitet mit therapeutischer Hilfe die Verstrickungen zwischen euch und uns Abhängigen auf, sodass jeder frei sein kann, um sich wieder auf Augenhöhe zu begegnen. Denn auch ihr seid häufig in unheilvoller Weise in der Abhängigkeit gefangen. Wie in einem Mobile haben sowohl Abhängige als auch Angehörige ihren Platz in der Sucht. Verändert sich der Süchtige, indem er nachhaltig abstinent wird, so wird der Angehörige zwangsläufig seine Position im „Mobile Abhängigkeit“ verändern müssen. Dies ist positiv, teilweise aber auch mit u.a. starken Ängsten verbunden. Bewegen sich nicht alle, so wird das Mobile wieder in seine Ausgangsposition zurückfallen.
 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin ein sehr positiver Mensch. Ich vertraue ohne Weiteres, engagiere mich gerne und übernehme Verantwortung ohne viel Aufhebens. Ich bin fürsorglich, empathisch und ich meine, dass jeder ein paar zweite Chancen verdient hat :o)

Ich kann im Normalfall sehr präzise und schnell denken, wobei konzeptionelles und interdisziplinäres Arbeiten mir sehr liegt. Und es erfüllt mich mit Stolz, dass ich eine Selbsthilfegruppe und zwei Onlineforen managen darf.

Christine ist Administratorin der Facebook Gruppe Bipolare Störung und hat bereits bei den #mutmachleuten über ihre Bipolare Erkrankung einen Beitrag geschrieben.