Die Rettung nach dem Sturz ins Wasser: Selbsthilfe.

Ein Gastbeitrag von Jaqueline Nehrkorn

 

Professionelle Hilfe ist das A und O bei der Genesung der Psyche – und mittlerweile ist es immer weniger verpönt, zu (Psycho-)Therapeut*innen zu gehen.

Warum auch? Bist du krank, gehst du zum Arzt. Kann dir dein Hausarzt nicht weiterhelfen, erhältst du eine Überweisung zum Facharzt.

Das liest und sagt sich so einfach, aber egal ob du selbst betroffen bist oder nicht, ist dir vermutlich bewusst, wie viel Überwindung es kosten kann, sich die benötigte Hilfe zu holen. Und wie viel Kraft es außerdem braucht, diese Hilfe anzunehmen.

Viele psychische Krankheiten und Störungen gehen mit Gedanken- und Verhaltensmustern einher, die uns wenig darin unterstützen, gesund und zufrieden zu sein. In einer Therapie erlernen wir z.B. Muster aufzudecken, zu verstehen, und sie so zu transformieren, dass sie uns dienen, anstatt zu schaden. Wir lernen das Handwerkszeug zur Genesung und letztendlich uns selbst und unsere Psyche kennen.

 

Therapiestunden sind gewissermaßen Weiterbildungszeit. Alles drum herum ist dann Praktikum.

Wenn wir an unsere Schulzeit denken, erinnern sich viele von uns an Lerngruppen und an den Austausch über Fächer und Kurse. Mitschüler*innen, Kommiliton*innen oder Mitauszubildende können Mitstreiter*innen und Ansprechpartner*innen sein, mit denen es leichter wird, Ziele zu erreichen.

Wie gut, dass wir uns in der heutigen Zeit immer mehr aus unseren Schneckenhäusern trauen, und uns vernetzen – so auch Betroffene von Krankheiten und dessen Angehörige. Wir lernen, dass wir nicht alleine sind, und dass die Hürden, die wir grade nehmen, an anderer Stelle bereits erfolgreich genommen werden konnten.

Oder was geholfen hat, so hoch springen zu können, und was uns die Angst nimmt, diesen Sprung zu wagen. Denn allzu oft fühlen wir uns alleine und verlieren den Glauben an uns, an unsere Fähigkeiten und letztendlich an die Bewältigung von Krisen oder gar an die Genesung. Der Austausch, der durch Selbsthilfe-Angebote entsteht, kann einen Anker im großen Meer der Gesellschaft von Masken und Erwartungshaltungen darstellen. Denn im geschützten Rahmen dürfen Masken fallen und wieder aufgesetzt werden, es darf hervorgelinst werden oder einfach nur zugesehen werden.

 

In der Selbsthilfe begegnen wir einander auf Augenhöhe

Wir heilen einander nicht, und wir verurteilen auch nicht. Wir schöpfen vom Erfahrungsschatz anderer, und machen den Schatz gemeinsam noch größer. Selbsthilfegruppen dienen der Reflektion des Alltags oder der Therapiestunden, bieten Raum um intensiver über gemeinsame Probleme, einzelne Skills oder Ziele zu sprechen.

„Selbsthilfe“ ist aber noch viel mehr. Ich möchte soweit gehen, Selbsthilfe als all das zu bezeichnen, was wir tun oder unterlassen, um zu heilen. Professionelle Hilfe ist Hilfestellung, Wegbereiter und Inspiration. Gruppenteilnahme ist Austausch. Bewusste Entscheidungen im Alltag, in Beziehungen, in Krisen und in Routinen sind Selbsthilfe.

Wenn wir in der Therapiestunde erkennen, wie wichtig ein geregelter Tagesablauf ist, und uns dazu entscheiden, ihn zu formen, nutzen wir die professionelle Hilfe. Wenn wir uns am Abend den Wecker für den Morgen stellen, unseren Tag mit Sinn und Freude und Aufgabe füllen, wenn wir einkaufen gehen und frisch kochen, dann ist das Selbsthilfe.

Wenn wir in der Therapiestunde verstehen, warum wir so wütend in gewissen Situationen, reagieren und dadurch Nachsicht entwickeln, nutzen wir die professionelle Hilfe.

Wenn wir in der nächsten Situation, in der der Wutausbruch langsam abklingt, aktiv reflektieren, welche Gedanken und Gefühle zu welchem Verhalten geführt haben und uns vom Gegenüber wünschen, beim nächsten Mal ein bestimmtes Codewort zu hören, um einen anderen Gedanken zu entwickeln, dann ist das Selbsthilfe.

 

Es gibt neben Selbsthilfegruppen mittlerweile auch reihenweise Inspiration und Austausch über das Internet – wenn wir diese Angebote nutzen, helfen wir uns selbst.

 

Therapeut*innen machen dich gesund – diesen Weg gehst du! Selbsthilfe ist also der essentielle Baustein für einen Genesungsweg. Und die gute Nachricht ist: Du musst ihn nicht alleine gehen.

 

Jaqueline Nehrkorn hat bereits einen Beitrag bei den #Mutmachleuten verfasst. Hier geht’s zu ihrem Beitrag.

 

Hier geht’s zum Selbsthilfe-Forum für Mutmachleute.